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für systemisch, konstruktivistisch arbeitende Coaches, Berater, Therapeuten und alle Interessierten

ACT – Akzeptanz- und Commitmenttherapie: Mehr Lebensqualität durch psychische Flexibilität

Psychologie, Sprachkritik, Therapie Posted on Mo, April 05, 2021 14:25:31

In unserer westlichen Zivilisation haben wir die Erwartungshaltung entwickelt, frei von Leiden zu sein. Wir nehmen eine „gesunde Normalität“ zum Maß der Dinge, beruhend auf der Annahme, dass ein Mensch im „natürlichen Gleichgewicht“ automatisch gesund und glücklich ist. Selbst, wenn wir alles haben, alles besitzen, uns es gut gehen sollte, kann es sein, dass es uns nicht genügt. Nichts, was von außen kommt, sichert uns letztlich eine Freiheit vom Leiden.

Wir definieren Gesundheit als Fehlen von Krankheit (gemessen und definiert an einer bestimmten Anzahl und Symptomen, die wir als Abweichung vom Normalen definiert haben). Unsere moderne Medizin hat uns überzeugt, dass Heilung die Ursache von Gesundheit ist. Wir blenden dabei aus, dass Gesundheit mehr als die bloße Abwesenheit von Krankheit sein kann. Über Jahre und Jahrzehnte haben wir die Tendenz, immer mehr Abweichungen vom „Normalen“ zu definieren und so immer mehr Störungen festzustellen. Wir pathologisieren dabei wahrscheinlich zunehmend „normale Lebensprozesse“ wie Kummer, Trauer oder Furcht. Dennoch scheint der Ansatz der letzten Jahrzehnte selten zu mehr Glück und Lebensqualität zu führen. Alle Menschen „leiden“. Es ist geradezu normal „abnormal“ zu sein. Allerdings Leiden manche Menschen mehr als andere. Manche Menschen können, selbst unter ähnlich widrigen Umständen, sich anpassen, sind resilienter und haben mehr Qualität im Leben als andere.

Das, was uns als Menschen so besonders macht, die Quelle unseres Fortschritts, unsere Fähigkeit zu kategorisieren, zu bewerten, zu urteilen, Situationen bewusst einzuschätzen, Vergleiche mit anderen Situationen anzustellen, Beziehungen zwischen vergangenen und gegenwärtigen Situationen vorherzusagen ist unser Denken. Denken ist nichts anderes als zu sich zu sprechen. Menschlicher Fortschritt war so immer auch mit der Entwicklung unserer Sprache verbunden. Leider schaffen die gleichen Funktionen, die uns so besonders machen auch eine Grundlage für das Potential Stress, selbst bei Abwesenheit unmittelbarer Reizauslöser, zu empfinden. Das menschliche Leiden besteht hauptsächlich aus einer Fehlanwendung ansonsten positiver psychischer Problemlösungsprozesse. Um diese Fehlanwendungen zu vermindern und die Qualität in unserem Leben zu verbessern, müssen wir lernen unsere Sprache und unser Denken zu gebrauchen, ohne von ihr vereinnahmt zu werden. So, wie ein Hammer auch nicht für alles taugt, ist auch unsere Alltagssprache nicht für alle Zwecke geeignet. Leiden entsteht insbesondere dann, wenn Menschen so stark an den wörtlichen Inhalt ihrer Gedanken glauben, dass sie mit ihren Kognitionen vollständig oder überwiegend eins werden (verschmelzen, ‚become fused‘). Im Zustand dieser Fusion wird der Wunsch den „richtigen“ Gefühlszustand zu erreichen dominant und Ziel eines ständigen Kampfes.

Ziel sollte es stattdessen sein, diese Menschen von solchen Gedanken zu „entflechten“, ihnen wieder die Unterscheidungsfähigkeit beizubringen, um ihnen ein „besseres“ Leben zu ermöglichen. Der Ansatz von ACT (Akzeptanz- und Commitmenttherapie, oder auch „Accept, Choose and Take action“) ist weniger sich „gut zu fühlen“, als darin „gut zu fühlen“, denn es ist durchaus gesund auch unangenehme Gedanken und Gefühle zu haben. Wir alle haben eine natürliche Tendenz unangenehmen Dingen auszuweichen, negative Erlebnisse zu vermeiden. Dabei wird in unserer sozialen Gemeinschaft die Tendenz zur Erlebnisvermeidung oft verstärkt. Wir bewerten häufig (z.B. Kinder) positiver, wenn sie die Fähigkeit zeigen, negative (aversive) emotionale Zustände besser zu kontrollieren und zu beherrschen, d.h. nicht nach außen zu zeigen. Gefühle, Emotionen und auch viele Gedanken lassen sich aber nicht willentlich kontrollieren und je mehr wir dies direkt versuchen, desto stärker werden sie. Unsere emotionalen Reaktionen sind Echos unserer eigenen Geschichte. Einmal gemachte Erfahrungen können aber nicht aus unserem Gehirn gelöscht werden. Um unerwünschte emotionale Reaktionen sicher zu vermeiden, müssen wir so unser Leben verfälschen, dass wir den Kontakt mit unserer Lebensgeschichte verlieren. Eine zu häufige Erlebnisvermeidung führt oft zu einem Mangel an positiven Emotionen (weniger empfundenes Glück). Um solche, nicht hilfreichen, Folgen zu vermeiden, brauchen wir die Bereitschaft den Kontakt mit unseren Erlebnissen zu ermöglichen und aufrechtzuerhalten und zusätzlich die psychische Akzeptanz einer offenen und nicht bewertenden Haltung. Akzeptanz ist dann nicht Resignation oder ein Hinnehmen, sondern ein aktiver Prozess. Diese (neue) Haltung muss erst einmal erlernt werden, denn sie kann nicht durch einfache Instruktionen erzwungen werden. Bei der Gestaltung des Lebens sind (persönliche) Werte nützlich, denn sie helfen zwischen Alternativen zu wählen. Handlungen zur Erreichung von Zielen im Leben sollten deshalb besser wertegeleitet sein. Das erfordert ein Bewusstsein der eigenen Werte als Basis für ein engagiertes Handeln.



Kognitive Verhaltenstherapie (eine Blog-Artikel Zusammenstellung)

Therapie Posted on Sa, März 21, 2020 17:14:05

Überblick der Kognitiven Verhaltenstherapien
KVT nach Aaron T. Beck:



Einordnung der Kognitiven Verhaltenstherapien

Konstruktivistisch, Psychologie, Therapie Posted on Sa, März 21, 2020 16:53:20

Die kognitive Verhaltenstherapie ist eine Form der Verhaltenstherapie, die auf der Lerntherorie basiert und besagt, dass störungsbedingtes Verhalten erlernt wurde und deshalb auch wieder verlernt werden kann. Hauptströmungen der Lerntherorie sind der Behaviorismus, der Kognitivismus und der Konstruktivismus.

In der Anfangsphase des Behaviorismus (John B. Watsons) sollte die Psychologie als Naturwissenschaft neu begründet werden, indem alles Verhalten in Reiz und Reaktion zerlegt wurde. Innere psychische Vorgänge waren für Behavioristen uninteressant. Im sogenannten „radikalen“ Behaviorismus (B. F. Skinner) wurden innerpsychische Prozesse bei der Erforschung von Verhalten nicht mehr ausgeschlossen. Dennoch wurden sog. ’nicht-naturwissenschaftliche‘ Einflüsse auf das Verhalten z.B. von „Kultur und Tradition“ in Studien ignoriert, wenn sie nicht als Umwelteinflüsse und Verhalten definiert werden konnten. Ab den 1960er und 1970er Jahren wurde der Behaviorismus zunehmend vom Kognitivismus als vorherrschendem Ansatz in der Psychologie abgelöst.

Beim Kognitivismus steht die individuelle Informationsverarbeitung mit den Denk- und Verarbeitungsprozessen des Lernenden im Fokus (Tolman, Lewin, Bruner). Die Erkenntnisse des Kognitivismus stammen aus der Kognitionspsychologie, die interdisziplinär ist und Ideen aus Philosophie, Psychologie und Linguistik aufnimmt. Zum Begriff der Kognition gehören: Wahrnehmung, Informationsverarbeitung, Geist, Denkpsychologie (Denken), Emotion und Handeln, Intelligenz, Sprache, Kreativität, Verstehen, Urteilen (Psychologie) sowie Urteil (Logik), Werturteil (Bewerten), Vorstellungen, Lernen und Gedächtnis.

Die kognitive Verhaltenstherapie entwickelte sich seit den 60er Jahren aus dem Kognitivismus. Zu den Begründern und namhaftesten Vertretern der kognitiven Verhaltenstherapie zählen Albert Ellis (Rational-Emotive Verhaltenstherapie – REVT / RET), Aaron T. Beck (kognitive Therapie – KT / KVT) und Donald Meichenbaum (Stressimpfungstraining).

(Quelle: Wikipedia und ‚Kognitive Umstrukturierung‘ von Einsle / Hummel)



KVT – Sitzungsablauf (Einzelsetting)

Therapie Posted on Di, März 17, 2020 20:42:00

Die Kognitive Verhaltenstherapie (KVT) folgt einigen Grundprinzipien: Sie versteht Therapie als Teamwork und legt großen Wert auf die aktive Mitarbeit des Klienten. Der Fokus der Betrachtung liegt (insbesondere anfangs) auf der Gegenwart (dem Hier-und-Jetzt). Sie ist zielgerichtet, d.h. immer am konkreten Problem orientiert und hat den Anspruch zeitlich begrenzt zu sein (i.d.R. 6- 14 Sitzungen; anfangs wöchentlich, dann z.B. 14-tägig / monatlich mit 3-monatlichen Auffrischungssitzungen). Die Sitzungen sind stark strukturiert und edukativ, d.h zielen darauf ab, den Klienten zum eigenen Therapeuten zu machen. Der Klient lernt seine dysfunktionalen Gedanken und Überzeugungen zu erkennen, zu überprüfen und darauf zu reagieren. Zur Veränderung von Denken, Stimmung und Verhalten können dabei eine Vielzahl von Methoden eingesetzt werden.

Wie in anderen Therapien muss schon ab der ersten Begegnung eine tragfähige therapeutische Beziehung aufgebaut werden. Der Therapeut entwickelt bereits in der ersten Sitzung das individuelle Fallkonzept (worum geht es?: Relevante Informationen aus der Kindheit; Grundannahmen; Bedingte Annahmen; Bewältigungsstrategien in verschiedenen Situationen die Automatischen Gedanken, deren Bedeutung, die ausgelösten Emotionen und das Verhalten des Klienten), welches ständig auf Grund neuer Informationen überarbeitet wird. Die Inhalte des Fallkonzeptes werden mit den Klienten besprochen und es wird um Feedback gebeten (Ordnung nach Wichtigkeit; Passung der Hypothesen für den Klienten – auch emotional). Am Anfang erklärt der Therapeut die Grundstruktur der Sitzungen (i.d.R. 45-50 Minuten).

Erste Sitzung:

  • Anfang – Agenda / Tagesordnung festlegen; Stimmungseinschätzung; Veränderung seit der Eingangsdiagnostik besprechen; Diagnose besprechen und Psychoedukation.
  • Mitte – Probleme aufdecken und Ziele setzen; Edukation über das kognitive Modell; Bearbeitung eines Problems.
  • Ende – Zusammenfassung der Sitzung; Hausaufgaben festlegen; Bitte um Feedback.

Weitere Sitzungen:

  • Anfang – Stimmungseinschätzung; Agenda / Tagesordnung festlegen; Veränderungen / Aktualisierung des Wissensstandes; Besprechung der Hausaufgaben; Ordnung der Agendapunkte nach Wichtigkeit.
  • Mitte – Bearbeitung eines konkreten Problems unter Beibringung der kognitiven Fähigkeiten; ggfs. Unklarheiten besprechen; entsprechende Hausaufgaben besprechen; ein weiteres Problem bearbeiten.
  • Ende – Zusammenfassung der Sitzung; neue Hausaufgaben festlegen; Bitte um Feedback

Die Arbeitsblätter des Buches sind unter www.beltz.de frei herunterzuladen. An dieser Stelle möchte ich gerne darauf hinweisen, dass es sich lohnt dieses Buch zu kaufen und unabhängig von meinen kurzen Zusammenfassungen zu lesen.

(Quelle: Praxis der Kognitiven Verhaltenstherapie, Beck)



KVT – Hausaufgaben als unverzichtbarer Therapie-Teil

Therapie Posted on Di, März 17, 2020 20:07:00

Das Durchführen von Hausaufgaben hilft dabei, schnellere Fortschritte zu machen, da der Klient die ganze Zeit zwischen den Sitzungen Anregungen zur Veränderungen seiner Kognitionen erhält. Sie maximieren den Lernerfolg der Therapie und verbessern die erlebte Selbstwirksamkeit des Klienten. Bei dem Aufgeben von Hausaufgaben muss der Therapeut die individuellen Fähigkeiten und Präferenzen, sowie praktische Einschränkungen (z.B. Zeit) des Klienten berücksichtigen. Es ist wichtig, dass die Hausaufgaben auch gemacht werden. Daher sind lieber etwas zu einfache als zu schwierige Aufgaben zu geben (gestufte Aufgaben). Die Aufgaben sind dem Klienten zu erklären / zu begründen, damit dieser versteht warum er sie machen sollte. Die Bereitschaft zur Erledigung sollte in einer Sitzung abgefragt werden („Wie wahrscheinlich ist es, dass Sie diese Hausaufgabe machen – auf einer Skala von 0 bis 100 Prozent?“). Nach und nach, sollte der Klient dazu angeleitet werden, in den Sitzungen seine eigenen Hausaufgaben zu entwerfen. Auch aus dem Nicht-Schaffen von Aufgaben können für die Therapie wertvolle Informationen gewonnen werden. Wenn möglich, sollte der Klient die Aufgaben bereits am Ende einer Sitzung beginnen, da eine angefangene Aufgabe einfacher zu erledigen ist. Der Klient sollte sich selbst (z.B. durch Notizzettel oder Kopplung an eine andere Handlung) an die Erledigung der Hausaufgaben erinnern. Auch das Ankreuzen der Erledigung auf einer täglichen Checkliste kann helfen. Vor jeder Sitzung sollte der Therapeut sich die Mitschriften der letzten Sitzung anschauen und sich notieren, welche Hausaufgaben vereinbart waren. Die Sitzungen sollten mit der Nachbesprechung der Hausaufgaben begonnen werden.

Typische fortlaufende Hausaufgaben sind:

  • Verhaltensaktivierung. Insbesondere depressive Klienten sollten zu Aktivitäten bewegt werden. Die Aufstellung eines Aktivitätenplans kann dabei helfen.
  • Festhalten von Automatischen Gedanken. Bei Stimmungsänderungen sollten Klienten sich selbst die Frage stellen „Was geht mir gerade durch den Kopf?“. Das Überwachen von Automatischen Gedanken kann auch zu einer höheren Belastung des Klienten führen.
  • Nachlesen der Sitzungsmitschriften. Das (Neu)Bewerten seiner Gedanken wird verbessert, wenn der Klient auch zwischen den Sitzungen die Mitschriften nachliest.
  • Problemlösen. Es hilft Klienten sich Lösungen für Probleme auch zwischen den Sitzungen zu überlegen und diese anzugehen.
  • Fertigkeiten. Ggfs. muss der Klient neue Fertigkeiten erlernen, die dann in den Hausaufgaben ausprobiert werden können.
  • Verhaltensexperimente. Das Durchführen von vorbereiteten Experimenten im ‚wirklichen Leben‘ des Klienten kann sehr effektiv zur Überprüfung von verzerrten Kognitionen eingesetzt werden.
  • Bibliotherapie. Das Verständnis von wichtigen Begriffen und Grundlagen kann verbessert werden, wenn der Klient diese zuhause noch einmal nachliest.
  • Vorbereitung auf die nächste Sitzung. Klienten sollten sich bereits zuhause überlegen, was wichtig ist, dass es in der nächsten Sitzung besprochen wird.

Unterstützende Arbeitsblätter: Aktivitätenplan; Arbeitsblatt zur Vorbereitung der nächsten Sitzung; Gedankenprotokoll Arbeitsblatt (zur Festhaltung von Situation, Automatischer Gedanken, Gefühle, Reaktion und Ergebnis); Arbeitsblatt zur Überprüfung von Gedanken; Arbeitsblatt Grundannahmen.

(Quelle: Praxis der Kognitiven Verhaltenstherapie, Beck)



KVT – Grundannahmen, die innersten Überzeugungen (Schemata)

Konstruktivistisch, Therapie Posted on Mo, März 16, 2020 21:10:00

Grundannahmen (Schemata) sind die innersten Überzeugungen eines Menschen. Sie bleiben meist unausgesprochen. Die meisten Menschen können größtenteils relativ positive Grundannahmen über sich und ihre Umwelt aufrechterhalten. Negative Grundannahmen werden nur in Zeiten großer psychischer Belastung überwiegend. Positive Erfahrungen ‚prallen‘ in diesen Zeiten einfach ab, werden nicht wahrgenommen oder abgewertet und damit nicht integriert. Dies ist keine Absicht. Es passiert automatisch. Wie schwierig das Erkennen und Verändern von Grundannahmen ist, hängt vom Klienten ab. Im Allgemeinen fällt es Klienten mit starken emotionalen Belastungen leichter als anderen.

Beck schlägt die Kategorisierung in drei Typen von Grundannahmen vor: 1. Grundannahmen der Hilflosigkeit (Ich bin unfähig / unzulänglich; mache alles falsch; bin machtlos / schwach; ich bin ein Opfer / Verlierer / Versager); 2. Grundannahmen des Nicht-liebenswert-Seins (Ich bin anders / schlecht / nicht in Ordnung / nicht gut genug / unattraktiv / unerwünscht; Ich werde immer zurückgewiesen / verlassen) und 3. Grundannahmen der Wertlosigkeit (Ich bin wertlos / schlecht / böse / überflüssig; Ich verdiene es nicht zu leben).

Grundannahmen sind Vorstellungen. Als solche kann man sie überprüfen, denn sie können auch ganz oder teilweise falsch sein. Grundannahmen haben ihre Wurzeln in der Kindheit. Als der Klient sie gebildet hat, waren sie möglicherweise richtig. Sie werden durch Schemata aufrechterhalten, die stützenden Informationen sofort akzeptieren, aber widersprüchliche Informationen ignorieren oder abwerten.

Ein Therapeut identifiziert die Art / Kategorie der dysfunktionalen Grundannahmen und versucht sie zusammen mit dem Klienten in der zuvor beschrieben Art zu verändern (siehe Veränderung von Annahmen). Seine (ständig verfeinerten) Hypothesen zu den Grundannahmen diskutiert er mit dem Klienten und bittet ihn um Zustimmung oder Widerruf. Er unterstützt den Klienten bei der Formulierung und Verstärkung neuer, angemessener Grundannahmen. Dabei ist eine halbwegs positive neue Grundannahme für die meisten Klienten einfacher zu akzeptieren als eine extrem positive Annahme (Bsp. „Ich bin überhaupt nicht liebenswert“ > „Im Allgemeinen bin ich schon liebenswert.“; „Ich bin schlecht.“ > „Ich bin okay.“; „Ich bin machtlos.“ > „Über die meisten Dinge habe ich schon Kontrolle.“; „Ich bin nicht in Ordnung.“ > „Ich bin normal und habe sowohl Stärken als auch Schwächen.“).

(Quelle: Praxis der Kognitiven Verhaltenstherapie, Beck)



KVT – Veränderung von Annahmen

Konstruktivistisch, Therapie Posted on So, März 15, 2020 15:31:35

Es gibt verschiedene Techniken, mit denen man bedingte Annahmen und Grundannahmen ändern kann. Der Therapeut sollte den Klienten dabei immer wieder fragen, wie stark er augenblicklich an die Annahme glaubt (Skalenfrage). 0 Prozent sind dabei i.d.R. weder möglich noch unbedingt erstrebenswert. In der Regel ist die Annahme dann schwach genug (< 30%), wenn es wahrscheinlich ist, das der Klient sein dysfunktionales Verhalten ändert. Einige Methoden können auch zur Modifikation von automatischen Gedanken verwendet werden.

Sokratische Fragen: Diese Technik hilft, die Logik der eigenen Gedanken kritisch zu hinterfragen und Fehler oder Inkonsistenzen in dieser Logik auf nichtkonfrontative Weise aufzuzeigen. Gundmuster sind:

  1. Klärendes Denken und Verstehen (Können Sie mir ein Beispiel geben? Könnten Sie das weiter erklären? Meinten Sie X? Was ist das Problem, das Sie zu lösen versuchen?).
  2. Anspruchsvolle Annahmen (Ist das immer so? Setzen Sie X voraus? Stimmen Sie dem X zu? Wenn das für ein X gilt, gilt das für alle X?).
  3. Untersuchen von Beweismitteln und Gründen (Warum sagen Sie das? Woher wissen Sie das? Welche Daten unterstützen dies? Warum?).
  4. Berücksichtigung alternativer Standpunkte und Perspektiven (Gibt es Alternativen? Wie sieht die andere Seite des Arguments aus? Was macht Ihre Sichtweise besser? Was würde X dazu sagen? Können Sie an Fälle denken, in denen das nicht stimmt?).
  5. Berücksichtigung von Folgen und Konsequenzen (Was wären die Folgen? Gibt es irgendwelche Nebenwirkungen? Was, wenn Sie falsch liegen? Wie können wir es herausfinden? Wenn das wahr ist, bedeutet das, dass X auch wahr ist? Was sollten wir dazu noch überlegen?).
  6. Meta-Fragen (Was denken Sie, warum ich diese Frage gestellt habe? Was bedeutet das? Was könnte ich sonst noch fragen?)

Verhaltensexperimente: Die Richtigkeit von Annahmen (und automatischer Gedanken) kann mit Verhaltensexperimenten überprüft werden. Richtig geplant und ausgeführt, können diese Verhalten nachhaltiger als verbale Methoden beeinflussen. Bsp. „Es wäre eine Katastrophe, wenn ich zu spät zur Arbeit kommen würde.“. Nach Vorbereitung: Aufgabe 5 Minuten zu spät zur Arbeit zu kommen. Verhalten gegenüber Kollegen und Vorgesetzten vorher einüben.

Kognitives Kontinuum: Diese Methode eignet sich insbesondere bei polarisiertem Denken (Alles-oder-nichts; Schwarz-Weiß). Auf einer linearen Skala werden durch erfragte Beispiele Zwischenpunkte eingeführt.

Rational-emotionales Rollenspiel: Dieses Rollenspiel eignet sind insbesondere dann, wenn der Klient beschreibt, dass er zwar mit dem Kopf erkennt, dass die Annahme nicht zutreffend ist, es sich aber im Bauch trotzdem richtig anfühlt. Der Klient übernimmt zunächst die Rolle des emotionalen Teils, der stark an die dysfunktionale Annahme glaubt, während der Therapeut den rationalen Teil spielt. Beide sprechen in der Ich-Form. Im zweiten Teil werden die Rollen getauscht. Der Therapeut benutzt dieselben emotionalen Argumente wie der Klient und versucht auch die Worte des Klienten zu wiederholen.

Andere Personen als Bezugsgröße: Wenn Klienten über die Annahmen von anderen nachdenken, gewinnen Sie oft Distanz zu ihren eigenen dysfunktionalen Annahmen („Wenn ein Freund/Freundin in dieser Situation wäre und diesen Gedanken hätte, was würden Sie ihm raten?). Oft können Klienten, mit eigenen Kindern (real oder vorgestellt) als Bezugsgröße, Abstand gewinnen.

So tun, als ob: Veränderungen von Annahmen führen oft zu entsprechenden Verhaltensänderungen – aber auch umgekehrt. Sobald der Klient beginnt sein Verhalten zu ändern, wird seine Annahme geschwächt. Die So-tun-als-ob-Technik kann so wohl bei bedingten Annahmen als auch der Grundannahmen eingesetzt werden.

(Quelle: Praxis der Kognitiven Verhaltenstherapie, Beck)



KVT – Bedingte Annahmen und Grundannahmen

Konstruktivistisch, Therapie Posted on So, März 15, 2020 08:48:20

Bedingte Annahmen (Einstellungen, Regeln, Grundsätze) und Grundannahmen können erkannt werden, wenn..

  • eine Annahme als automatischer Gedanke formuliert wurde (Bsp. „Was ist Ihnen durch den Kopf gegangen?“ „Ich hätte besser sein sollen. Ich kann nie etwas richtig machen. Ich bin so unfähig.“, Grundannahme);
  • der erste Teil eines Grundsatzes vorgegeben wird (Bsp. „Sie dachten also Sie müssen .. “ „Ja, dann habe ich nicht mein Bestes getan. Ich habe versagt.“);
  • direkt eine Regel oder Einstellung erfragt wird (Bsp. „Haben Sie eine Regel dazu?“);
  • bei einem (angenommenen) ‚entscheidenden‘ automatischen Gedanken wiederholt nach der Bedeutung dieses Gedankens gefragt wird, was oft eine oder mehrere bedingte Annahmen aufdeckt; oder danach zu fragen, was das über den Klienten aussagt, welches die Grundannahme aufdecken kann (die sog. „Pfeil-abwärts Technik“);
  • die automatischen Gedanken des Klienten auf gemeinsame Themen überprüft werden, z.B.durch eine direkte Frage nach gemeinsamen Themen oder der Formulierung einer versuchsweisen Annahme und Frage nach Überprüfung durch den Klienten;
  • der Klient direkt danach gefragt wird;
  • ein Fragebogen zu Annahmen ausgefüllt und ausgewertet wird (Bsp. DAS – Skala dysfunktionaler Einstellungen, Hautzinger et al).

Der Therapeut muss Hypothesen aufstellen, wie zentral eine Annahme ist und ob sie vorrangig verändert werden muss. Dazu ist es auch hilfreich den Klienten zu fragen, wie stark er an die Annahme glaubt (Skalenfrage). Wichtig ist die Psychoedukation des Klienten über Annahmen (Erlerntes kann auch wieder verlernt und anderes erlernt werden..). Bei Annahmen ist es hilfreich die Vorteile und Nachteile von Annahmen mit dem Klienten zu explorieren. Bei dysfunktionalen Annahmen, können dann die Vorteile in Zweifel gezogen und die Nachteile betont werden. Bei der Formulierung einer neuen Annahme stellt sich die Frage, welche Annahme für den Klienten funktionaler wäre. Der Therapeut versucht für sich eine weniger starre Annahme zu formulieren, die thematisch mit der dysfunktionalen Annahme zusammenhängt und zu einer größeren Zufriedenheit des Klienten führen könnte. Kooperativ leitet er die gemeinsame Formulierung einer neuen Annahme (sokratische Fragen).

(Quelle: Praxis der Kognitiven Verhaltenstherapie, Beck)



KVT – Automatische Gedanken

Konstruktivistisch, Therapie Posted on Mi, März 04, 2020 20:02:41

Automatische Gedanken sind oft recht kurz, wie ‚in Steno‘. Sie existieren neben dem offensichtlichen Gedankenstrom, tauchen spontan auf und basieren nicht auf Nachdenken. Oft sind die damit zusammenhängenden Gefühle deutlicher bewusst. Automatische Gedanken können in verbaler oder visueller Form oder in beiden Formen auftreten.

Bsp.: ‚Oh, nein.‘ – Klienten können dann auf Nachfrage in der Regel leicht formulieren, welche Bedeutung dieser automatische Gedanke für sie hatte.

Die Grundfrage für Klienten bei dem Aufdecken von automatischen Gedanken ist: „Was ist mir gerade durch den Kopf gegangen?“

Alternativ kann nach den gerade empfundenen Gefühlen gefragt werden (und wo im Körper diese gespürt werden); einem Bild (ggfs. ein Bild vorschlagen); der detaillierten Beschreibung der problematischen Situation; nach der Bedeutung der Situation; es können Gedanken vorgeschlagen werden, die gegenteilig zu denen sind, die man bei dem Klienten vermutet, oder es kann ein Rollenspiel vorgeschlagen werden (z.B. bei zwischenmenschlichen Problemen).

Einige Klienten haben ein eingeschränktes Vokabular für Gefühle. Andere können diese zwar intellektuell benennen, aber haben Schwierigkeiten ihre spezifischen Emotionen auszudrücken. Eine ‚Gefühlskarte‘ kann bei der Benennung helfen. Es ist auch wichtig, Gefühle nicht nur zu benennen, sondern auch ihre Stärke einzuschätzen (Skalenfrage).

Nach dem Berichten des ersten Gedankens ist es wichtig weiter zu fragen (‚Und was noch? Und dann?‘). Interessant sind die konkreten Worte oder Vorstellungen, nicht Interpretationen (wie ‚ich denke..‘, ‚ich glaube..‘).

Oft sind automatische Gedanken von Klienten negativer Natur. Menschen mit psychischen Störungen interpretieren neutrale oder sogar positive Situationen falsch, d.h. ihre automatischen Gedanken sind verzerrt. Die Kognitive Verhaltenstherapie lehrt Klienten, ihr dysfunktionales Denken zu erkennen, zu überprüfen und zu verändern.

Wir haben jeden Tag Tausende von Gedanken, aber in einer Sitzung lassen sich nur wenige (oder nur einer) davon überprüfen. Deshalb muss der Klient unterstützt werden, die am meisten belastenden Gedanken zu identifizieren. Die Automatischen Gedanken selbst werden nicht in Frage gestellt, da sie selten völlig falsch sind. Der Therapeut hilft dem Klienten dabei: die Gültigkeit eines automatischen Gedankens herauszufinden; mögliche alternative Interpretationen oder Sichtweisen zu entdecken; zu erkennen, inwieweit der Klient dem Gedanken Glaube schenkt; Abstand vom Gedanken zu gewinnen oder die ersten Schritte zur Problemlösung anzugehen. Beispiel Fragen sind:

  • Welche Anhaltspunkte sprechen für / gegen diesen Gedanken?
  • Welche alternativen Erklärungen gibt es?
  • Was ist das Schlimmste, das passieren könnte? Wenn es eintreten würde, wie würden Sie damit umgehen? Was ist das Beste, was passieren könnte? Was ist das realistischste Ergebnis?
  • Welchen Effekt hat es, wenn Sie diesen Gedanken glauben / nicht glauben?
  • Was würden Sie einem Freund in dieser Situation raten?

Typische Denkfehler sind: Alles-oder-nichts Denken (Schwarz/Weiß); Katastrophisieren; Positives ausschließen oder abwerten; Emotionales Schlussfolgern; Etikettierung; Vergrößerung / Verkleinerung; Mentaler Filter; Gedankenlesen; Übergeneralisieren; Imperative Aussagen; Tunnelblick. Sollte ein automatischer Gedanke hingegen zutreffen, sollte man sich auf das Lösen des Problems oder der Akzeptanz konzentrieren.

(Quelle: Praxis der Kognitiven Verhaltenstherapie, Beck)



KVT – Das kognitive Modell

Konstruktivistisch, Psychologie, Therapie Posted on Mo, März 02, 2020 22:03:57

Das kognitive Modell der Kognitiven Verhaltenstherapie (KVT) besagt vereinfacht: Nicht die Situation an sich beeinflusst die Gefühle einer Person, sondern die Art und Weise, wie die Person die Situation interpretiert. Gefühle und Verhalten werden durch die Wahrnehmung von Ereignissen beeinflusst.

Situation / Ereignis >> Automatische Gedanken >> Reaktion (emotional, Verhalten, körperlich)

Jeder Mensch entwickelt von Kindheit an bestimmte Annahmen (beliefs) über sich, andere Menschen und seine Umwelt. Seine innersten, tief verwurzelten Grundannahmen, die Dinge, die „nun einmal so sind“, werden nicht hinterfragt und oft nicht einmal ausgesprochen (auch nicht sich selbst gegenüber). Er hält diese Annahmen für absolut wahr. Diese Grundannahmen bilden die unterste Ebene der Annahmen. Sie sind situationsunabhängig, starr und übergeneralisiert. Die Gedanken, die jemanden in bestimmten Situationen automatisch durch den Kopf gehen, basieren auf den Grundannahmen. Sie werden automatische Gedanken genannt. Dazwischen liegt die Kategorie der sog. ‚bedingten Annahmen‘ (intermediate beliefs).

Grundannahmen >> Bedingte Annahmen (Einstellungen, Regeln, Grundsätze) >> Automatische Gedanken

Zusammen genommen sieht das kognitive Modell wie folgt aus:

Grundannahmen >> Bedingte Annahmen (Einstellungen, Regeln, Grundsätze) >> Situation / Ereignis >> Automatische Gedanken >> Reaktion (emotional, Verhalten, körperlich)

Ein mögliches Beispiel:

Grundannahme: „Ich bin unfähig.“ >> Bedingte Annahmen: Einstellung „Es ist schrecklich, zu versagen.“, Regel „Lieber aufgeben, wenn die Herausforderung zu groß ist.“, Grundsätze „Wenn ich etwas Schwieriges versuche, werde ich versagen“ und „Wenn ich dies vermeide, ist alles in Ordnung.“ >> Situation / Ereignis: „Lesen eines schwierigen Textes.“ >> Automatische Gedanken: „Das ist einfach zu schwierig. Ich bin so dumm. Ich verstehe das nie.“ >> Reaktion: emotional „Entmutigung“, Verhalten „Weitere Beschäftigung mit dem Text vermeiden. Statt dessen andere Aktivität.“, körperlich „Körper fühlt sich schwer an.“

Bedingte Annahmen sind einer Veränderung leichter zugänglich als die Gundannahmen. Obwohl die Grundannahmen nie offen ausgesprochen wurden, beeinflussen sie Denken und Verhalten. Wir entwickeln bestimmte Verhaltensmuster um mit unseren Grundannahmen (z.B. von eigenen ‚Defiziten‘) umzugehen.

In der kognitiven Verhaltenstherapie bildet das sog. Kognitive Fallkonzept den Rahmen für das therapeutische Verständnis und den daraus abgeleiteten Therapieschritten. Welche Probleme hat der Klient im Moment? Wie sind diese entstanden und wie werden sie aufrechterhalten? Welche dysfunktionalen Gedanken und Annahmen sind mit diesen Problemen verknüpft? Wie sieht der Klient sich selbst, seine Umwelt, seine Zukunft? Was sind die zugrundelegenden Annahmen (einschließlich der Einstellungen, Erwartungen und Regeln)? Wie geht der Klient mit seinen (dysfunktionalen ) Kognitionen um? Welche Stressoren tragen zur Aufrechterhaltung bei bzw. stören deren Auflösung? Die Hypothesen des Therapeuten über die innere Landkarte des Klienten sind das Kognitive Fallkonzept. Die Therapie ist eine gemeinsame Reise auf den Wegen dieser inneren Landkarte mit dem Ziel an einem vom Klienten bestimmten Ziel anzukommen. Ein gründliches Fallkonzept d.h. ein möglichst genaues Bild der inneren Landkarte hilft eine Reiseroute festzulegen. Das Fallkonzept ist immer in Bewegung und unterliegt ständigen Änderungen. Jede neue Information bestätigt, verwirft oder modifiziert Hypothesen. Ein Fallkonzept ist dann zutreffend, wenn der Klient bestätigt, dass es sich ‚richtig anfühlt‘.

(Quelle: Praxis der Kognitiven Verhaltenstherapie, Beck)



Systemische Therapie mit Erwachsenen (2)

Systemisch, Therapie Posted on Do, Februar 27, 2020 21:19:23

Ich möchte das Bild der Systemischen Therapie mit Hilfe des Buches ‚Systemische Therapie in der Praxis‘ (Hrsg. von Sydow / Borst) etwas ergänzen. Nach einem Kapitel ‚Grundlagen‘ über Erstgespräch, Auftrags- und Zielklärung, Diagnostik, Indikationen/Kontraindikationen und Qualitätssicherung, werden kurz systemische Basisinterventionen beschrieben: Ressourcenaktivierung / Umdeutung, Genogrammarbeit, Systemisches Fragen, Skulptur/Aufstellung, Psychoedukation, Hausaufgaben, Zeitlinienarbeit, Rituale, Reflektieren, Arbeit mit inneren Anteilen, Mentalisieren, Externalisierung von Problemen, Internalisierung von Lösungen. Es werden verschiedene Settings (Einzel, Paar, Familie, Gruppen) erläutert und folgende störungsspezifische Therapie Empfehlungen für Erwachsene gegeben:

F2 Schizophrenie, schizotype und wahnhafte Störungen

Allgemeines Ziel ist die Inklusion (Alltag als Therapie). Bei Rückzug und ‚Ausstieg aus der Realität‘ die ‚Wiedereinführung in die Kommunikation‘. Im Bereich der Kooperation, das Verhandeln über Krankheitskonzepte und Behandlung, sowie in Familienbeziehungen, Psychoedukation und Gespräche ohne Konfliktvermeidung (offener Dialog). Chronifizierung ist durch Rückfallprophylaxe zu vermeiden (jede Krise neu betrachten). Ein günstiges Familienmilieu hat eine hohe, fast vollständige protektive Wirkung (auch bei hohem genetischem Risiko). Studien zeigen, dass die Kombination von systemischer Therapie mit anti-psychotischer Medikation wirksamer ist als Medikation alleine, insbesondere bei der Reduktion von Abbrüchen, Rückfällen, Symptomreduktion, Compliance und Lebensqualität. Weitere Therapieoptionen sind: Kognitive Verhaltenstherapie, Pharmakotherapie, Kunsttherapie (vor allem bei Negativ-Symptomatiken).

F3 Affektive Störungen / F32 depressive Episoden

Allgemeine Ziele sind: positive Erfahrungen zu vermehren (Verhaltensaktivierung und Sport); im Gespräch zu ermutigen, Probleme zu lösen (sokratischer Dialog, lösungsorientierte syst. Therapie, Psychoedukation). In akuten Krisen über suizidale Gedanken zu sprechen (bei F32 immer eine Suizidanamnese durchführen). Aufmerksamkeitslenkung (hypnosystemisch) zur Ressourcenaktivierung (negatives Denken und Fühlen reduzieren). Neues Verhalten zur Erhöhung der Selbstwirksamkeit einführen, sowie die Interventionen Externalisierung, Reframing und inneres Team. Bei interaktionellen Problemen IPT zur Verbesserung der Interaktionen. Biografieorientierte syst. Therapie um Sinn und Bedeutung von depressiven Krisen im Biografieverlauf zu verstehen. Weitere Therapieoptionen sind: Kognitive Verhaltenstherapie, Pharmakotherapie, Gesprächspsychotherapie. Die Beziehungsgestaltung sollte auf einem mittleren bis leicht erhöhten Aktivitätsbereich erfolgen. Zu aktiv oder zu träge ist ebenso wenig förderlich wie zu wenig oder zu viel Empathie. Bei einer affektiven Störung sind viele andere Menschen betroffen, insbesondere Familienangehörige. Bei depressiven Störungen müssen sie zeitweise die Energie aufbringen, die dem Betroffenen fehlt.

F4 Neurotische, Belastungs- und somatoforme Störungen

Angststörungen: Laut S3 Richtlinie (Bandelow) sollten bei spezifischen Phobien expositionsorientierte Kognitive Verhaltenstherapie angeboten werden. Bei anderen Phobien und anderen Angststörungen ist Psychotherapie und /oder Pharmakotherapie zu empfehlen. In der systemischen Therapie sind folgende evidenzbasierten Ansätze gut beschrieben: Ressourcen- und lösungsorientierte Kurzzeittherapie; Symptomverschreibungen;

Zwangsstörungen: Intrapsychisch führt die Zwangsstörung dazu, dass sich der Klient mit seinen Zwangsgedanken und -handlungen beschäftigt, statt sich den anstehenden Herausforderungen zu stellen (Aufrechterhaltung des Ist-Zustandes), während er interpersonell seine Bezugspersonen in seine Zwangsstörung einbindet und unterordnet. In der Therapie soll der Klient die Prinzipien verstehen und den Fokus auf die eigentlichen Problembereiche lenken. Ein Expositionstraining mit Reaktionsverhindung reicht in der Regel allein nicht aus. Neben einer Psychoedukation sollten die Fragen nach einer symptomfreien Zukunft erfolgen und relevante Systemmitglieder mit eingebunden werden (Anteil der Mitglieder an der Aufrechterhaltung der Symptomatik). Weitere Therapieoptionen sind Kognitive Verhaltenstherapie, Pharmakotherapie (SSRI), ACT.

Belastungs- und Anpassungsstörungen: Normale Trauerreaktionen sollten nicht pathologisiert werden. Trauer hilft, belastende Ereignisse zu integrieren. Sicherheit ist eine der wichtigsten Rahmenbedingungen nach einer traumatischen Erfahrung. Zur Behandlung von Anpassungsstörungen gibt es kaum evidenzbasierte Vorgehensweisen, da die Auslöser alltäglich und individuell sind (zusätzlich sind Anpassungsstörungen Ausschlussdiagnosen). Weil sich Therapeuten / Berater oft überlastet mit Traumata fühlen, wird der Ruf nach psychotraumatologisch geschulten Fachleuten laut. Dabei ist es vielmehr wichtig, dass die Helfer Ruhe bewahren und Sicherheit ausstrahlen. Psychoedukation ist in der Regel hilfreich. Symptome wie Flashbacks, Alpträume, erhöhte Vigilanz oder dissoziative Symptome sind normale Reaktionen auf außergewöhnliche Ereignisse. Zuviel Aktivismus in einer akuten Phase ist nicht hilfreich. Guidelines (NICE) empfehlen ‚Watchful Waiting‘ über mind. 4 Wochen (auch 3-6 Monate). Weitere Therapieoption ist die Pharmakotherapie (symptomorientiert). Entspannungsverfahren haben sich bisher als nicht wirksam erwiesen, können aber als Zusatzbehandlung Anwendung finden.

Psychosomatik: Psychosomatische Störungen können im Zusammenspiel der drei Systeme Kommunikation (Bindungsgeschichte und Bindungsstil, Familienstil, aktuelle Bindungssituation, soziale Stressoren), Psyche (Selbstregulation, Einführung der Erlebnisebene) und Soma (der Körper kann im inneren Parlament oder symbolisch zur Sprache kommen) verstanden werden. Weitere (nicht Reden) Therapieoptionen sind körperbezogene, achtsamkeitsbasierte Verfahren (Selbstregulationsfähigkeit des Körpers) wie Meditation, Yoga, Qi Gong, PMR und Fokussing (Gendlin).

F6 Persönlichkeits- und Verhaltensstörungen / F60.3 Emotional instabile Persönlichkeitsstörung insbesondere F60.31 Borderline-Typ

Systemische Therapeuten nehmen oft eine kritische Haltung bezüglich der Diagnose von Persönlichkeitsstörungen (PS) ein. Die Trennschärfer der PS Diagnostik ist schwach und es bestehen viele Komorbiditäten. In dem Buch ‚Systemische Therapie in der Praxis‘ wird die Borderline PS nur zusammen mit ‚komplexen Traumafolgestörungen‘ betrachtet. Es wird empfohlen Dissoziative Symptome, die häufig vorhanden aber nicht spontan berichtet werden, zu explorieren. Als Therapieziele werden beschrieben: Überleben, vermeiden von Therapiegefährdungen, Stabilisierung der Lebensgrundlagen, Verringerung der Impulsivität / Erhöhung der Selbststeuerung, Klärung von Beziehungen, verstehen und verständlich machen (Entwicklung eines kohärenten Narrativ), Eröffnung konstruktiver Lebensperspektiven. Als empirisch belegte manualisierte Verfahren werden benannt: DBT (Dialektisch-Behaviorale Therapie), Übertragungsfokussierte Psychotherapie, MBT (Mentalisierungsbasierte Therapie), Schematherapie.



Systemische Therapie mit Erwachsenen (1)

Konstruktivistisch, Systemisch, Therapie Posted on Fr, Februar 21, 2020 13:51:14

Nachfolgend eine ausschnittsweise Zusammenfassung von Betrachtungen und Ansätzen einer Systemischen Therapie mit Erwachsenen bei bestimmten Störungen (Quelle: Lehrbuch der systemischen Therapie und Beratung II, Schweitzer / Schlippe):

F1 Psychische und Verhaltensstörungen durch psychotrope Substanzen

In einer systemischen bio-psycho-sozialen Betrachtung sind Leben, Bewusstsein und Kommunikation selbstorganisierte Systeme, die zwar strukturell gekoppelt sind, aber zwischen denen es keine kausalen Bezüge gibt. Für Abhängigkeiten heißt das: Es gibt biologisch die Dynamik der ‚Selbstmedikation der Nebenwirkungen der Selbstmedikation‘ durch Toleranzentwicklung, d.h. organische Gegenreaktionen zur Reduktion der Drogenwirkung. Nach einer gewissen Zeit wird das Suchtmittel als fester Bestandteil der Oganismusfunktionen eingebaut – mit der Folge einer physischen Abhängigkeit. Auf der Ebene des Bewusstseins gibt es, je öfter die Erlebens-Sucht-Choreographie durchlaufen wird, immer weniger alternative Optionen. Die Suchthandlung stabilisiert sich auf der psychischen Ebene selbst. Sie besteht, weil sie besteht und sie wird durch das Muster aufrechterhalten, durch das sie selbst gebildet wurde. Auf der Ebene der Kommunikation gibt es keine Sucht/Abhängigkeit an sich. Abhängiges Verhalten ist gleichzeitig ein Netzwerk aus Beobachtungen und Zuschreibungen, die von Beobachtern vorgenommen werden. Verhalten und Reaktionen sind eng sozial verflechtet (z.B. Ko-Abhängigkeit). Störungen durch psychotrope Substanzen sind höchst stabil zwischen den jeweiligen Systemebenen verkettet. Bei einer Entstörung ist insbesondere das Auftragskarussell zu beachten: Der Kostenträger möchte die Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit durch vollständige Abstinenz. Der Arbeitgeber möchte schnelle Resultate sehen. Die Angehörigen erwarten oft eine Stabilisierung, ohne dass sich innerhalb des Familiensystems zu viel verändert. Die Mehrzahl der Klienten hält sich selbst nicht für süchtig und strebt keine Abstinenz an. Der Therapeut möchte i.d.R. mit größtmöglicher Ergebnisoffenheit und Neutralität unterschiedliches Konsumverhalten betrachten (Unterschiede einführen). Deshalb ist eine konsequente Klienten-Anliegenorientierung besonderes wichtig.

F2 Schizophrenie, schizotype und wahnhafte Störungen

Ver-rückte Komunikationsformen gedeihen besonders gut in einem Umfeld, in dem sog. weiche Wirklichkeitskonstruktionen vorherrschen. In einem Umfeld, in dem sich die Kommunikationsteilnehmer möglichst wenig festlegen, was sie ausdrücken wollen. In denen Beschreibungen vage und unbestimmt bleiben, Unterschiede und Gegensätze zwischen Bedeutungsinhalten kaum noch erlebbar sind oder verschwimmen, z.B. in dem nahezu gleichzeitig vollkommen unterschiedliche Impulse ausgedrückt werden (Ich liebe dich! – Komm mir nicht zu nahe!). In der Literatur z.B. beschrieben als: Mystifikation (Laing), bei der ein anderer definiert was sein Gegenüber denke, wolle etc., auch wenn es der Betroffene gar nicht so sieht; als kommunikative „Double-Bind“ Zwickmühle (Bateson) oder als „high expressed emotions“ (Vaughn / Neff) bei dem kritische, entwertende und zugleich sehr emotionale Bewertungen in engen Beziehungen an der Tagesordnung sind. Bei einer Plussymptomatik zeigt der Klient zu viel nicht erwartete Verhaltensweisen, bei einer Minussymptomatik keine oder zu wenige. Beides kann dazu führen, dass seinen Verhaltensweisen, von anderen, kein verstehbarer Sinn mehr zugesprochen wird, der Klient quasi aus der regulären (sinnvollen) Kommunikation ausgestoßen wird (Exkommunikation). Eine systemische Entstörung beinhaltet eine Wiedereinführung des Exkommunizierten, in dem mit dem Klienten normal und vernünftig gesprochen wird, immer annehmend, dass dieser gute und verständliche Gründe habe, sich aktuell unverständlich zu äußern und zu Verhalten, auch wenn diese von der sozialen Umwelt derzeit noch nicht verstanden werden. Die Absicht wird wertgeschätzt, auch wenn der Inhalt nicht verstehbar scheint. Auch ver-rücktes Reden wird als Kompetenz angesehen. Ein wesentliches Element ist die Psychoedukation. Ein rigides Krankheitskonzept der F2 soll aufgeweicht oder aufgelöst werden. Den Beteiligten sollten Chronifizierungsstrategien verdeutlicht werden, d.h. wie bislang und künftig alle Beteiligten zur Chronifizierung beitragen (Harmonie in der Familie auf Kosten einer Chronifizierung), welche guten Gründe es für eine Chronifizierung und welche Ausstiegsmöglichkeiten es aus einem Chronifizierungsprozess gibt (Pro und Kontra). System (Familien)-Mitgleider werden befragt, was sie tun müssten, damit ein symptomatisch-schizophrenes Verhalten wieder auftritt (Vorwegnahme des Vermeidbaren). Die Exploration und Markierung von Unterschieden während und zwischen Rückfällen soll die Wahrnehmung von Veränderungen ermöglichen (die in der Regel ausgeblendet werden). Das beinhaltet die Exploration von negativen Konsequenzen ausbleibender Rückfälle.

F3 Affektive Störungen / F32 depressive Episoden

Eine negative Sicht der Welt, der eigenen Person und der Zukunft (kognitive Triade) ist ein typisches dysfunktionales kognitives Schema (Beck). Aus ungeprüften Ableitungen früherer Erfahrungen (unterstützend sind hohe Ansprüche an sich und die Welt und idealisierte Grundüberzeugungen) wird ‚Hilflosigkeit gelernt‚ (Seligmann). Der Klient macht sich durch solche Selbstsuggestionen (Schmidt) quasi selber depressiv. Die Erfahrungen des immer wieder verlorenen inneren Kampfes verstärken Hoffnungslosigkeit und Selbstabwertung (Teufelskreis). In Beziehungen kann depressives Verhalten systemerhaltend wirken (den Partner binden), eine Aufforderung zum Engagement des Partners sein, oder eine Bindung (Loyalität) an Vergangenes symbolisieren (Schicksale, Erinnerung an Verstorbene etc.). Kollektive, im sozialen System gemeinsam geteilte, Ideen von ‚Man muss immer alles richtig machen‘, erhöhen den Druck.

Eine Entstörung beinhaltet die ressourcenorientierte Suche nach Hypothesen zu ‚den guten Gründen‘ (wofür ist das depressive Verhalten ein Lösungsversuch). Die Beziehungsgestaltung erfolgt angekoppelt an Tempo, Energieniveau und Stimmung. Die Depression kann als ‚Besucher‘ externalisiert werden (White / Epston). Verschiedene intrapsychische Persönlichkeitsanteile, die miteinander in Konflikt sind, können mit dem IFS Modell (Internal Family System, Schwarz) oder der inneren Familienkonferenz (Schmidt) in Einklang gebracht werden. Bei resignierten Klienten können Verschlimmerungsfragen hilfreicher als Lösungsfragen (z.B. die Wunderfrage) sein.

F4 Neurotische, Belastungs- und somatoforme Störungen

Angst und Panikstörungen wurden häufiger bei Erleben eines geringen familiären Zusammenhaltes und chronischen Konflikten zwischen den Eltern beobachtet. Ebenfalls bei frühen oder dramatischen Verlusten im eigenen Leben und bei Situationen, die ein frühes Erwachsenwerden erforderlich machten (häufig mit Überforderung). Panikattacken können das Resultat einer symmetrischen Eskalation zwischen Wut auf den Partner und Angst vor den Konsequenzen dieser Wut sein. Die Eskalation der Wut wird durch die Panikattacke gestoppt und die Aggression und Wut wird dissoziiert. Die Fehlinterpretation von Wut als Angst kann so zur Vermeidung von Konflikten beitragen. Angstsymptomatiken können ein Mittel der Nähe-Distanz Regulierung sein. Bei einer Entstörung kann zunächst die Symptomatik im Vordergrund stehen. Es geht aber auch darum herauszufinden, womit der Klient sich beschäftigen würde, wenn die Erkrankung nicht mehr da wäre. Vermeidungsverhalten und negative Befürchtungen (Defizitchor) können zu einer Art ‚Reformstau‘ in der Bewältigung von Konflikten geführt haben. Es gilt die Klienten bei der Erarbeitung von Lösungen zu unterstützen und ihnen ein geeignetes Erklärungsmodell (z.B. Teufelskreise der Angst; Redewendungen bei Zusammenhängen von Angst und körperlichen Veränderungen; erstmalige Bobachtung der Angst und konstruierte Bezeichnung; Reaktion und Umgang der anderen) zur Verfügung zu stellen. Oft liegt bei Angststörungen eine einseitige Orientierung auf die Zukunft vor (wie in der Zeit eingefroren; Nichts-Neues Syndrom), die sich in sich selbst verewigenden Erzählformen zeigt. Es gilt dann, die verdichtete Situation zu verflüssigen, indem ein Nacheinander / Danach eingeführt wird. In einer Art Desensibilisierung können Schritt für Schritt das Danach der katastrophalen Vorstellungen durchgespielt werden. Die Wunderfrage kann einsetzt werden, um ein Leben ohne Angst im Detail auszumalen. Partner und andere Systemmitglieder sollten zumindest über zirkuläre Fragen einbezogen werden. Skalenfragen können helfen die Angst sprachlich zu kontextualisieren. Unterschiedsfragen können positiv sensibilisieren für Ereignisse, die von den bisherigen Erwartungshaltungen abweichen. Zur Auflösung der Problemtrance kann durch Humor und Provokation eine Dekonstruktion der Wirklichkeitslandschaft erfolgen. Ebenfalls können Ängste externalisiert (White / Epston) oder mit dem IFS Modell (Schwarz) gearbeitet werden.

Zwänge sind eine Pseudokompensation und dienen dem Schutz vor negativer Befindlichkeit. Sie können die Beziehung regulieren (zu sich selbst bei Defiziten des Selbstwertgefühls oder anderen nahen Bezugspersonen). So lassen sich 75% der Eltern in die Zwangsrituale ihrer Kinder mit hineinziehen. Oft wird der Partner eng in die Störung mit einbezogen. Die Störung kann dabei auch ein Ersatz für etwas Drittes (z.B. Kinder oder gemeinsame Projekte) werden. Die Paardynamik kann ggfs. mit der Rolle der Flasche eines Alkoholikers verglichen werden. Zwangsstörungen führen auch zu Kommunikationsstörungen, die wiederum zu Zwängen oder ihrer Aufrechterhaltung beitragen können. Zur Unterstützung einer Entstörung von Zwängen können ebenfalls Rituale eingesetzt werden (eine ‚mehr desselben‘ Intervention passt aber nicht bei allen Klienten). Ein Ritual allein löst die Zwangsstörung nicht auf, kann aber, wie eine Musterunterbrechung (z.B. Unterlassungsintervention), kreativen Raum für Neues öffnen, welches oft Unsicherheit und Ungewissheit bei allen Beteiligten hervorruft (inkl. Therapeut).

Bei Belastungsstörungen (z.B. PBTS) ist es aus systemischer Sicht weniger wichtig was das Problem ist, sondern wer es definiert, welche sozialen Prozesse beteiligt sind und was dann als Problem benannt wird (‚Betonierung der Opferrolle‚). Zusätzlich gilt es eine Vielzahl von Methoden zu kombinieren (z.B EMDR, Kunsttherapie, Soziogramm, Psychodrama, Psychopharmakologie).

Der Körper wird bei somatoformen Störungen in die Erfahrung und Erzeugung von Wirklichkeiten einbezogen. Krankheit an kritischen Punkten eines Familienzyklus kann dafür sorgen, dass sich Dinge nicht zu schnell verändern, weil zunächst Fürsorge und Rücksicht gefragt sind. Eine erhöhte Aufmerksamkeit gegenüber körperlichen Befindlichkeiten kann von einer Ignoranz gegenüber emotionalen Befindlichkeiten ablenken. Insbesondere somatoforme Schmerzstörungen können mangelnde Fähigkeiten zur Modellierung der eigenen Emotionen (z.B. bei Gewalt oder sexuellem Missbrauch) kompensieren. Somatisierende Angehörige haben oft wenig oder keine Sprache für emotionale Erfahren entwickelt. Wenn zwei Partner gemeinsam somatisieren, schenkt ihnen das eine gemeinsame Sprache für alles Unbehagliche. Systemisch ist die Ursachenattributierung innerhalb des Systems (Familie) sehr bedeutsam. Bei einer Entstörung geht es zunächst darum behutsam eine neue Sprache einzuführen und die Symptome als zunächst sinnhafte Konstruktion anzuerkennen. Dabei können neurobiologische Modelle hilfreich für die Akzeptanz einer neuen Sprache sein. Es gilt alle Personen, die eine bedeutsame Perspektive auf das Geschehen haben, zu verbinden und alle Symptome als bio-psycho-sozial zu verstehen.

F5 Verhaltensauffälligkeiten mit körperlichen Störungen und Faktoren / F50 Essstörungen

Aus systemischer Sicht ist es wichtig, dass es keine einheitliche Ursache von Anorexie gibt. Familien mit anorektischen Mitgliedern sind deswegen weder automatisch dysfunktional, noch Schuld. Die Störung setzt allerdings (spätestens bei Lebensbedrohlichkeit) alle Familienmitglieder unter eine hohe emotionale Anspannung. Es kann innerhalb der Familie Muster geben, die eine Somatisierung fördern, z.B. Verstrickungen (interpersonale Grenzen oder Grenzen von Familiensubsystemen sind unklar oder gehen verloren), Überfürsorglichkeit, Starrheit, Konfliktvermeidung, Konflikt-Umleitung (die Symptomatik des Kindes als Beziehungsregulator der Eltern). In Familien, in denen sich ein Mitglied bulimisch verhält, kann man oft eine lustvollere Norm und Lebensweise vorfinden, wobei aber an der Lust ein Haken ist, der das Genießen nur im Kombipack mit Selbstquälungen erlaubt. Die Impulshandlung des Erbrechens ist ein Bewältigungsversuch des ungeschehen machen. Es beseitigt in autonomer Weise unangenehme Spannungen und verbrigt Mangelhaftes und vermeidet Konflikte mit anderen Familienangehörigen. In einer Entstörungsbegleitung wird zwischen einer Stabilisierungs-, Konfliktbearbeitungs-, und Reifungs-Phase unterschieden.

F6 Persönlichkeits- und Verhaltensstörungen / F60.3 Emotional instabile Persönlichkeitsstörung insbesondere F60.31 Borderline-Typ

Menschen mit Borderline-Störung werden oft so beschrieben, dass sie sich als tief entfremdet von ihrer Familie wahrnehmen und empfinden. Eine respektvolle Exploration der familiären Beziehungsmuster kann deswegen eine hilfreiche Intervention sein. In der Literatur werden zwei Familientypen beschrieben: die vernachlässigende, emotional missbrauchende Familie und die chaotisch-instabile Familie mit ständigen Krisen. Die Borderline-Störung ist eine besondere Form der Organisation von Ambivalenz. Eine ressourcenorientierte Sicht ist, dass Klienten vielfältige Möglichkeiten der Nähe-Distanz Regulierung haben; nach dem Motto leben ‚Das Konstante ist der Wandel‘; entgegengesetzte Bedürfnisse ausleben; auf der kognitiven und emotionalen Ebene die Fähigkeit haben schnell zu alternieren; sich abgrenzen, Grenzen öffnen und Grenzen überschreiten; zu testen ‚Wer hält mich aus, so wechselnd, wie ich bin?‘. Die Leitfrage des therapeutischen Arbeitens ist ‚Wie würde man mit dem Klienten arbeiten, wenn es die Diagnose nicht gebe?‘ (Weglassen der Stigmatisierung). Symptome werden weniger als Defizit und mehr als kreative Lösung betrachtet. Es wird mehr mit dem Klienten erörtert (als Experte für sein System) und weniger trainiert. Der Therapeut nimmt eine neutrale Position und Funktion ein, was auch dabei hilft sich nicht in die Inszenierung des Klienten verstricken zu lassen. Eine tragende Supervisionsgruppe (insbesondere bei eingesetzten Suiziddrohungen) kann sehr hilfreich sein. Mit positiver Konnotation und Humor können sich Interventionen zunächst auf das beobachtbare Verhalten konzentrieren und erst später eine umdeutende Kontextualisierung und die Entwicklung weniger schmerzhafter Verhaltensalternativen.



Was heißt ‚Systemik‘ in Therapie und Coaching?

Konstruktivistisch, Philosophie, Psychologie, Systemisch, Therapie Posted on So, Februar 02, 2020 15:11:09

Regeln in sozialen Systemen erkennt man an Einschränkungen von Verhaltensoptionen der Systemmitglieder und daran, welche Bedeutungen den Dingen zugewiesen werden und welches Verhalten als möglich und unmöglich angesehen wird. Bei diesem (oft nicht bewussten) Aushandeln der Regeln ist wichtig, dass wir in der Lage sind, uns in andere Menschen hineinzuversetzen, in dem wir den anderen ein Bewusstsein unterstellen, das unserem ähnlich ist. Wir handeln auf Grund unserer Erwartungen darüber, was die Erwartungen der anderen sind (Erwartungs-Erwartung). Aber natürlich können wir über das Verhalten der anderen nicht sicher sein, denn unsere Erwartungen können falsch sein und so kommt es zu nicht vorhersehbaren Überraschungen. Regeln werden autonom innerhalb des Systems ausgehandelt. Sie werden gemeinsam konstruiert. Die Philosophie des Konstruktivismus ist damit die erkenntnistheoretische Grundlage einer systemischen Haltung und Denkens. Ein System definiert sich selbst. Man kann auch sagen, ein System ‚ist‘ die Differenz zwischen sich und seiner Umwelt (Luhmann). Systeme erschaffen und erhalten sich selbst (sind ‚autopoietisch‘). Die sozialwissenschaftliche Theorie sozialer Systeme stammt von Niklas Luhmann, dessen Bücher bis heute kaum in andere Sprachen, insbesondere Englisch, übersetzt wurden. Dennoch haben seine Grundlagen die Theorie der systemischen Therapie im deutschsprachigen Raum stark geprägt. In der Medizin und insbesondere Psychologie, ist heute das allgemeine Verständnis, das alles Geschehen, insbesondere bei Störungen, bio-psycho-sozial zu betrachten ist. Luhmann schlug vor, für das Verständnis menschlicher Wirklichkeit, drei Klassen von autopoietischer Systeme zu unterscheiden: biologische Systeme (Leben), psychische Systeme (Bewusstsein) und soziale Systeme (Kommunikation). Dass diese drei Systeme in relativ starker Unabhängigkeit von einander arbeiten, hat für eine systemische Sicht einer Therapie und Coaching weitreichende Konsequenzen:

  • Unabhängigkeit Psyche und Kommunikation: Menschen können sich grundsätzlich nicht gegenseitig durch Kommunikation verstehen. Kommunikation regt, als ‚Umwelt‘ des Systems Psyche, lediglich Prozesse an.
  • Unabhängigkeit des Systems Kommunikation: Im System Kommunikation entwickeln sich, durch das ‚Eigenleben‘ im System Kommunikation, Muster, die anders ablaufen, als es sich die Beteiligten wünschen.
  • Unabhängigkeit des Systems Psyche: Gefühle sprechen nicht. In der Therapie kann deshalb lediglich mit der Kommunikation über den Umgang mit Gefühlen gearbeitet werden.
  • Unabhängigkeit Kommunikation vs. Psyche und Biologie: Die Kommunikation im Coaching und Therapie kann nicht direkt auf Pyche oder die Biologie einwirken, sondern als ‚Umwelt‘ lediglich Prozesse anregen.

In einem konstruktivistischen Verständnis gehen wir davon aus, dass wir als Menschen niemals eine objektive Wahrheit (sollte es diese jemals geben) erkennen können. Unsere Sensorik nimmt lediglich Reize wahr. Die Beurteilung dieser Reize, unsere Kognition, ist es, die diesen einen Sinn verleiht. Wir konstruieren einen Sinn. Sinn ist nicht allein in der Welt vorhanden. Er wird von uns als Beobachter erschaffen und erhalten. Im sozialen Konstruktivismus gibt es nicht Menschen die miteinander sprechen, sondern es gibt Geschichten (Narrationen), die eine Wirklichkeit, unabhängig von den einzelnen Menschen, erschaffen. Systemik in Therapie und Coaching heißt damit auch, die Kraft einer Perspektivenvielfalt zu nutzen und den Umgang mit Bedeutungen von Narrationen (z.B. durch Metaphern) neu zu verhandeln, in einem ‚Tanz der Bedeutungen‘.

Die Kongruenz des Systems ‚Sozial‘ mit ‚Kommunikation‘ hat ebenfalls weitreichende Bedeutung. Unsere Geschichte, also die Beobachtung und Definition unserer gesellschaftlich akzeptierten Wahrheit, durch die Unterdrückung alternativer Geschichten mit Hilfe der Massenmedien, ist immer auch mit sozialer Macht verbunden. Geschichte schreiben immer die Sieger. Aber auch die Sprache selbst, als einer der wichtigsten Kommunikationsmittel, war schon immer mit Macht und Machtausübung verbunden (vergl. Foucault und Derrida – Macht durch normierte Wahrheiten).

In einer systemischen Sicht ist die Welt nicht einfach kausal, schon gar nicht linear kausal, sondern ein komplexes Geschehen. Sie ist nicht so ‚ordentlich‘ und berechenbar wie wir sie gerne hätten (denn das gibt uns Sicherheit). Stabilität und Ordnung sind eher Konstruktionsleistungen eines oder mehrerer Beobachter. Kausale Beschreibungen können in Systemen problematische Folgen nach sich ziehen, die bei einem systemischen Arbeiten in Coaching und Therapie in Frage gestellt werden. ‚Probleme‘ lassen sich systemisch als Kommunikation verstehen, die etwas als unerwünscht und veränderbar bewertet. Ein Problem wird aus folgender Zusammenwirkung konstituiert: Einer Selektionsleistung von einer oder mehreren Personen, die einen Zustand beschreiben; beobachtet von einer oder mehreren Personen, die diesen Zustand entdecken und beschreiben; bewertet als unerwünscht oder veränderungsbedürftig von einem oder mehreren Beobachtern; und zumindest ein Beteiligter glaubt daran, dass dieser Zustand änderbar sei (anderenfalls ist es Schicksal). Probleme werden aus systemischer Sicht erfunden und entdeckt (konstruiert). Ein Problem erschafft auch ein System (problemdeterminierendes System) in dem die kollektive Aufmerksamkeit auf ein Problem gelenkt wird, eine Erklärung für das Problem erfunden (konstruiert) und diese verfestigt und aufrechterhalten wird. Sie werden erzeugt und aufrechterhalten, weil sie nützlich im System sind. Probleme in systemischer Sichtweise erfüllen eine Funktion (z.B. Aufrechterhaltung einer Stabilität/Gleichgewicht in einem System). Aus Sicht der systemischen Therapie sind Krankheiten Probleme, die differenziert, aus bio-psycho-sozialer Perspektive betrachtet werden sollten. So gibt es z.B. im Englischen für das deutsche Wort Krankheit gleich drei Wörter, mit unterschiedlichen Bedeutungen: disease (bio-medizinisch), illness (psycho-erlebte) und sickness (sozial anerkannt).



Psychologische Beratung und Therapie in Gruppen

Kommunikation, Psychologie, Therapie Posted on Sa, Januar 25, 2020 13:21:00

Man kann Gruppen einteilen in

  • Selbsthilfegruppen (z.B. Adipositas, AGUS Angehörige um Suizid, Aktiv für die Psyche, Allergie / Asthma / COPD, Angst, AAS Anonyme Arbeitssüchtige, Anonyme Insolvenzler, Anonyme Sexsüchtige, Blinden und Sehbehindertenbund, Berufstätige Pflegende Angehörige, Bluthochdruck, Brustkrebs, Chronisch krank und JA! zum Leben, Deutsche Rheuma Liga, Diabetis etc.; Quelle: kleine Auswahl von Gruppen gelistet bei der SHZ-München)
    Selbsthilfegruppen leisten Aufklärungsarbeit und können insbesondere helfen Behandlungserfolge langfristig zu stabilisieren.
  • Wachstumsgruppen
    Wachstumsgruppen oder Encountergruppen helfen dabei Selbstverwirklichungskräfte freizusetzen. Bei eine professionellen Gesprächsleitung kann in diesen Gruppen eine fassadenfreie Begegnung der Teilnehmer erfolgen. Diese Gruppen lassen sich in einem Übergangsbereich zur Psychotherapie verorten und werden deshalb auch gerne als ‚Therapie für Normale‘ bezeichnet. Ein Beispiel ist das Konzept der Coaching.Reise
  • Psychotherapiegruppen
    Psychotherapiegruppen haben ausdrücklich das Ziel psychische Störungen zu behandeln. Man kann in konflikt- / beziehungs-orientierte und methoden- / einzelfall-orientierte Gruppen unterscheiden. In konfliktorientierten Gruppen dient die Gruppe als sozialer Mikrokosmos und als Übungsfeld ohne das volle soziale Risiko. Bei den methodenorientierten Gruppen steht nicht die Gruppendynamik im Vordergrund, sondern für eine überschaubare Zeit werden in der Gruppe, Störungen einzelner Mitglieder behandelt (ähnlich wie in einer Einzeltherapie). Probleme können dabei aber auch mit anderen Gruppenteilnehmern simuliert und besprochen werden (z.B. in Rollenspielen und Gestaltübungen).

(eigene Zusammenfassung aus Peter Fiedler, Verhaltenstherapie in Gruppen)



Narrative Therapie: Einmalige Resultate

Systemisch, Therapie Posted on Sa, August 11, 2018 09:02:06

Einmalige Resultate (unique outcomes) / (hilfreiche) Ausnahmen können im Klienten Gespräch mit den von Michael White untenstehenden Fragekategorien vertieft werden. Die Benennung einmaliger Resultate ist etwas völlig anderes als der Prozess, in dem man herausfindet, was einmalige Resultate darüber aussagen, was Menschen im Leben erreichen wollen und ihnen wichtig ist.

  1. Fragen, die eine erfahrungsnahe, besondere Definition des einmaligen Resultates aushandeln
  2. Fragen, die Auswirkungen des einmaligen Resultates kartieren
  3. Fragen, wie der Klient die Auswirkungen des einmaligen Resultates beurteilt
  4. Fragen, nach der Begründung der Beurteilung


Narrative Therapie: Definitionszeremonien

Systemisch, Therapie Posted on Di, August 07, 2018 20:11:07

Definitionszeremonien geben Klienten die Möglichkeit vor einem Publikum / außenstehende Zeugen Geschichten ihres Lebens zu erzählen. In diesem sozialen Prozess kann der Klient das Gefühl von Authentizität entwickeln in dem seine Ansprüche an die eigene Identität und Geschichte anerkannt werden (im Sinne einer kollektiven Selbstdefinition). Es können dichte Narrationen entwickelt werden, mit komplexen Gedanken über die Identität des Klienten. Positive Resultate können verstetigt und ausgeweitet werden. Einen ähnlichen Weg verfolgte Anderson mit seiner Arbeit im Reflektierendem Team. Ähnlichkeiten finden sich auch im Setting von Gruppentherapien. Die Struktur von Definitionszeremonien hat nach Michael White 3 Phasen:

  1. A) Erzählung des Klienten vor außenstehende Zeugen.
  2. B) Neuerzählung
  3. Ausdruck – Zeugen werden gebeten, das zu schildern, was ihnen am meisten aufgefallen ist, was ihre Aufmerksamkeit erregt hat oder ihre Vorstellungskraft geweckt hat. Zeugen unterhalten sich nur untereinander oder mit dem Coach / Therapeut, niemals mit dem Klienten. 2. Bilder – Die Zeigen werden dann gebeten, Bilder (oder Gefühle) zu beschreiben, die ihnen beim Zuhören gekommen sind und darüber nachzudenken, was diese Bilder mit dem Klienten zu tun haben können / was diese über ihn aussagen könnten was er im Leben will und was ihm wichtig ist. 3. Widerhall – Zeugen werden gefragt was sie persönlich angerührt hat / was eine Saite in ihrer persönlichen Geschichte angerührt haben könnte. 4. Bewegtsein – Sie werden gebeten zu schildern, inwieweit sie von der Geschichte berührt worden sind.
  4. C) Neuerzählung der Neuerzählung

Nach der Neuerzählung kehren die Zeugen in die Rolle des Publikums zurück und der Klient wird gefragt, was er aus der Neuerzählung herausgehört hat. Die erfolgt in dem gleichen Schema von Ausdruck, Bilder, Widerhall und Bewegtsein.

Der Klient wird gebeten Ausdrucksformen der außenstehenden Zeugen zu schildern, die ihm aufgefallen sind; welche Bilder oder Vorstellungen diese Ausdrucksformen bei ihm wachgerufen haben; seine persönlichen Erfahrungen, die diese Ausdrucksformen berührt haben; und seine Gedanken oder Vorstellungen seines eigenen Lebens und seine Handlungsoptionen daraus.



Narrative Therapie: Wiederherstellung von Zugehörigkeit

Systemisch, Therapie Posted on Di, August 07, 2018 20:09:27

Für Klienten mit isolierender Identitätsvorstellungen empfiehlt Michael White Gespräche, die von der Idee geleitet sind, dass die Identität des Klienten nicht auf einem Kernselbst beruht, sondern auf einem ‚Lebensverband‘ mit signifikanten Figuren und Identitäten aus der Vergangenheit, Gegenwart und projizierten Zukunft. Damit hat der Klient die Möglichkeit, die ‚Mitgliedschaften‘ dieser Figuren und Identitäten zu seinem Lebensverband auf- oder abzuwerten oder ganz zu revidieren. Die Normen unserer westlichen Kultur von Selbstbeherrschung, Selbstkontrolle, Eigenständigkeit, Selbstverwirklichung und Eigenmotivation könnten zu einem ‚eingekapseltem Selbst‘ führen. Diese Fragen könnten Klienten neue Möglichkeiten zur Rekonstruktion seiner Identität ermöglichen…

Fragen zum Beitrag der Person zum Leben des Klienten

Fragen zur Identität des Klienten aus Sicht der Person

Fragen zum Beitrag des Klienten zum Leben der Person

Fragen zu den Implikationen dieses Beitrages für die Identität der Person



Narrative Therapie: Neue Erzähllinien

Systemisch, Therapie Posted on Sa, August 04, 2018 11:54:11

Michael White (in Maps of narrative Practice, 2007) unterscheidet in ..

I (Identitätslandschaft), gekennzeichnet durch ..

– Intentionales Verständnis (Intentionalität = Fähigkeit des Menschen, sich auf etwas zu beziehen etwa auf reale oder nur vorgestellte Gegenstände, Eigenschaften oder Sachverhalte, oftmals als spezifisches Merkmal des Mentalen verstanden). Husserl: Durch Reflexion erfassen wir statt der Sachen, Zwecke, usw. die entsprechenden subjektiven Erlebnisse, in denen sie uns bewusst werden. Man bezeichnet sie auch als ‚Phänomene’. Ihr allgemeinster Wesenscharakter ist es, ‚Bewusstsein-von’, ‚Erscheinung-von’ den jeweiligen Dingen zu sein, sie sind ‚intentionale’ Erlebnisse. Kritik von Heidegger: Intentionalität kann sich nur auf als vorhanden vorgestellte Objekte richten. Heidegger spricht von um zu-Bezügen, von Zuhandenheit statt Vorhandenheit und von einem zuhandenen Zeug statt einem vorhandenen Ding. In diesem Zusammenhang erst ist der Hammer als solcher begreifbar: als ein Zeug, das zum Hämmern dient, um etwa ein Haus zu bauen. Das Beispiel zeigt, dass Dinge in einen Verweisungszusammenhang eingebunden sind und dieser nur zeitlich verstanden werden kann: der Hammer ist nur in Betracht auf einen zukünftigen Gebrauch zu verstehen. Diese Zukunft ist aber nicht “etwas”, kein Objekt in der Welt, auf das man gerichtet sein kann.

– Verständnis, wem oder was welcher Wert zugeschrieben wird (‚attaching a value to..’). Ein Werturteil drückt positive oder negative Auszeichnung aus, die in der Stellungnahme einer Person bezüglich eines mehr oder minder genau bestimmten Objekts enthalten ist. Sie geht häufig einher mit der mehr oder minder ausdrücklichen Erwartung und/oder Aufforderung an Dritte, dieselbe Wertung als hinreichend gerechtfertigte mit zu vollziehen.

– Verinnerlichendes Verständnis

– Realisierung, Erkenntnisse, Wissen (Wissen und Erkenntnisse können immer auch im Machtzusammenhang gesehen werden)

Beispiel-Fragen (durch den Gebrauch des Konjunktives gegenzeichnet):

Fallen Ihnen irgendwelche Geschichten über Aktionen von XY ein, aus denen hervorgeht, was für ihn wertvoll war / was er für wertvoll hielt? Fallen Ihnen irgendwelche Geschichten über ihn ein, denen ich entnehmen kann, woher Sie das über ihn wussten?

Sie haben gesehen, wie.. Was hat das aus Ihrer Sicht über ihn ausgesagt? Was erzählt Ihnen das darüber, was XY für wertvoll hält?

Fällt Ihnen noch eine Geschichte über XY ein, als er noch jünger war, die das bestätigt hätte, was Sie über ihn wussten? Was dazu passen würde, wie..

Wenn Sie zurückdenken an diese Ereignisse.., wie hat die Aktion.., Ihr Bild von ihm als Persönlichkeit geprägt?

Wie kommt es, dass du mit dem etwas verbindest, was du gerade gehört hast?

Ich weiß jetzt über Aktionen des .. und Aktionen des .. Das gehört alles zu deiner Lebensgeschichte. Nimmt man diese Aktionen zusammen, um was geht es da eigentlich?

Was sagt das aus Ihrer Sicht darüber, worauf XY seine Hoffnungen setzt?

Haben Sie einen Eindruck davon, wie das .. sich auf ihre Leben ausgewirkt hat? Vielleicht im Hinblick darauf wie sie sich gefühlt haben? Vielleicht im Hinblick auf neue Erkenntnisse über ihr Leben? Im Hinblick auf Ihre Beziehung zu ..?

Wie fühlen Sie sich bei dieser Art der Entwicklung?

Fällt Ihnen etwas dazu ein, warum Sie darüber glücklich sind? Irgendetwas, was mir helfen würde zu verstehen, warum Ihnen das wichtig ist?

H (Handlungslandschaft), gekennzeichnet durch..

– Ereignisse (beobachtbare Geschehen)

– Gegebenheiten (auch Tatbestand, auch Tatsächlichkeit oder Faktizität), im weiteren Sinne wird der Begriff auch für Sachverhalte verwendet, die sich nicht auf einzelne Taten (Handlungen) zurückführen lassen. Martin Heidegger: “Faktizität des Daseins” das als Geschichtliches in seine Existenz geworfen wurde.

– Sequenz (lineare Abfolge oder Reihenfolge)

– Zeit (Zwischen der subjektiv wahrgenommen Zeit und der objektiv messbaren bestehen oft deutliche Differenzen. In ereignisreichen Zeiten hat man viele Informationen eingespeichert, sodass dieser Zeitraum lange erscheint. Umgekehrt erscheinen ereignisarme Zeiten im Rückblick kurz, da kaum Informationen über sie gespeichert sind.)

– Plot (Handlung, in der Literaturtheorie eine “Abfolge von zusammenhängenden, [ursächlich] miteinander verketteten Ereignissen oder Vorgängen, die das dramatische Gerüst” bilden.)

Beispiel-Fragen:

Wie würden Sie diese Initiative von XY bezeichnen?

Welche Art von Aktion war das?

Können Sie diesem Schritt einen Namen geben, der ihm die Anerkennung gibt, die er verdient?

Was glaubst du, welche Möglichkeiten würde dir das geben? Was glaubst du, welchen Handlungsspielraum würde dir das geben? Welche Schritte könntest du gehen, die dazu passen würden?

Was für ein Schritt wäre das, wenn du ihn unternehmen würdest?

Haben Sie eine Vorstellung davon, was das.. möglich gemacht hat?

Haben Sie eine Vorstellung davon, was Sie getan haben könnten, das vielleicht den Weg für .. geebnet hat? Könnten Sie sich vorstellen, was zu diesem Schritt geführt haben könnte? Was dabei eine Rolle gespielt hat?

In grafischer Form kann man auf einer Landkarte der Entwicklung neuer Erzähllinien zwischen der Identitätslandschaft oben und der Handlungslandschaft unten, sowie auf der horizontalen Achse in “Ferne Vergangenheit, Entfernte Vergangenheit, Jüngste Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft” unterscheiden. Ein Zick-Zack-Kurs durch die Zeit ist typisch für Gespräche, in denen neue Erzähllinien entworfen werden. Keine Frage ist vorher festgelegt, sondern es wird spontan auf die Antworten des Klienten reagiert.

Oft können sich dabei untergeordnete (alternative) Erzähllinien im Status geändert ändern und ursprünglich dominante Erzähllinien das Leben des Klienten weniger bestimmen. Die Handlungslandschaft gewinnt an Dichte, wenn Klienten Ereignisse in eine Sequenz bringen. Die Identitätslandschaft gewinnt dadurch an Dichte, dass Klienten Ereignisse reflektieren und sich auf dieser Basis zum Leben und Identität äußern.



Narrative Therapie: Problemexternalisierung in Gesprächen

Systemisch, Therapie Posted on So, Juli 29, 2018 11:00:06

Eine Methode in der Narrativen Therapie, wie sie von Michael White vorstellt wurde (Maps of narrative Practice, 2007) ist die Problemexternalisierung in Gesprächen. Menschen sind oft überzeugt, dass ihre Lebensprobleme Spiegelbilder ihrer eigenen Identität oder der Identität von anderen Menschen sind. Ein Gespräch, das das Problem zum Problem macht (und nicht die Person) kann der Verobjektivierung der Klienten-Identität entgegenwirken und neue Handlungsoptionen aufzeigen. Dazu empfiehlt Michael White 4 Kategorien von Fragen. Neue Fragen werden dabei mit einem ‚Geleitwort‘, einer Zusammenfassung des vorher Gehörten, eingeleitet.

  1. Fragen, die eine erfahrungsnahe, besondere Definition des Problems aushandeln

Das Problem des Klienten (weswegen er gekommen ist) wird vom Klienten benannt und im Folgenden behandelt als sei es eine Person. So kann man nach der Wirkung der Herrschaft des Problems fragen, oder wie der Klient das Wesen / den Charakter des Problems beschreibt (konkret und nicht abstrakt / verallgemeinernd).

Wer ist PROBLEM? Welchen Charakter hat PROBLEM?

  1. Fragen, die Auswirkungen der Aktivitäten des Problems kartieren

Die Einflüsse des Problems in den einzelnen Lebensbereichen des Klienten werden erfragt, wobei die wichtigsten Konsequenzen der Aktivitäten und Arbeitswesen des Problems enthalten sein sollten.

Wie wirken sich die Handlungen von PROBLEM aus?

  1. Fragen, wie der Klient die Auswirkungen der Aktivitäten des Problems beurteilt

Die Arbeitsweisen und Aktivitäten des Problems sowie dessen stärkste Auswirkungen auf das Leben des Klienten werden von diesem beurteilt. Für viele Klienten ist das eine neue Frage, dass die Auswirkungen oft von anderen Menschen beurteilt werden. Konsequenzen sind durchaus nicht immer gänzlich negativ. Häufig ist die Haltung von Klienten gemischt.

Sind diese Aktivitäten für Sie in Ordnung? Wie schätzen Sie diese Entwicklungen ein? Wie ist Ihre Einstellung zu dem, was hier gerade sichtbar wird? Ist diese Entwicklung positiv, negativ, beides, weder noch oder in einem Zwischenbereich?

Wie beurteilen Sie die Handlungen von PROBLEM?

  1. Fragen, nach der Begründung des Urteils / der Bewertung

Klienten werden nach Geschichten gebeten, die beantworten, warum er eine bestimmte Beurteilung abgegeben hat. Dabei können Warum-Fragen eingesetzt werden, aber nicht im Sinne eines moralischen Urteils.

Ist es in Ordnung, wenn ich dazu weitere Fragen stelle? Können Sie mir eine Geschichte aus Ihrem Leben erzählen, die mir verstehen hilft, weshalb Sie zu dieser Entwicklung diese Position beziehen? Welche Geschichte aus Ihrem Leben würde xy (andere Person) erzählen, die verstehen hilft, weshalb Sie diese Entwicklung so beurteilen?

Ich möchte an dieser Stelle eine 5.te Fragenkategorie hinzufügen / vorschlagen, die den Einfluss des Klienten auf das das Leben des PROBLEMS erfragt. Viele Menschen könnten von einer solchen Frage überrascht sein, denn sie sehen sich selbst meist als passiv / Opfer und übersehen dabei, dass auch sie selbst und ihre Handlungen des Lebens von PROBLEM beeinflussen.

Welche Geschichten können Sie erzählen, bei denen Sie entweder das Leben von PROBLEM einmal so richtig schwer gemacht haben, oder ihn zumindest etwas in seinen Aktivitäten behindert haben? Was müssten Sie tun, damit PROBLEM ein richtig leichtes Spiel hat, sich ganz und gar austoben kann?



Wirkfaktoren der KiP

Psychologie, Therapie Posted on Sa, Dezember 02, 2017 10:23:38

Gefördert durch die offenen Fragen, die imaginierte Scene in allen Details zu beschreiben, werden die katathymen Bilder der Wahrnehmung realer Szenen immer ähnlicher. Dies ist aber erst vollständig, wenn der Klient auch den Gefühlston der Scene wahrnehmen und verbalisieren kann.

Dadurch dass selbst “Ungeheuerlichkeiten” in der gleichen Art beobachtet, vergegenwärtigt und beschrieben werden, mit der man einen technischen Apparat untersuchen würde, werden Symbolisierungen Schritt für Schritt durch den Klienten (nicht durch den Therapeuten) intellektuell erfasst. Der Tagtraum wird entmystifiziert und wird zunehmend realitätsbezogen. Eine Entwicklung des Klienten ist durch einsetzende Wandlungsphänomene beobachtbar und kann positiv verstärkend angesprochen werden.

Die intensive Wahrnehmung von Gefühlen kann diese verstärken, wobei eine Freisetzung oder auch Abreaktion befreiend wirken kann. Dies ist aber nicht Selbstzweck, sondern die damit verbundene emotional-affektive Neutralisierung zur Gewinnung einer kognitiven Klarheit, insbesondere bei fixierten Bildern.

Konflikte, als Teil des eigenen konflikthaften Ich, werden nach Außen verlagert / projiziert, werden damit greifbar und lassen sich kritisch betrachten. Bildstrukturen können eingeordnet und auf ihren Gefühlston untersucht werden. Diese Betrachtungen und die Fokussierung auf Details haben eine unmittelbare Rückwirkung auf das Ich (z.B. Selbstheilungstendenz). Dabei kann der Prozess teils halb vor, halb unbewusst im Bildhaften stehen bleiben (“Im-Bild-stehen-lassen” von Metaphern in allen vielschichtigen Bedeutungen statt Entleerung durch Unterteilung in Begriffen), teils wird er zur Gewinnung von kognitiven Einsichten bewusst. Wichtig ist, dass die Auseinandersetzung emotional getragen ist.

Die Auseinandersetzung mit und die Bewältigung von Konflikten im Tagtraum kann durch die Probehandlungen Klienten-Ressourcen aktivieren und kann das Ich erheblich stärken.



Katathym-imaginative Psychotherapie (KiP)

Psychologie, Therapie Posted on Sa, Dezember 02, 2017 10:22:27

In ihrem Konzept geht das katathyme Bilderleben von der Tradition der europäischen Tiefenpsychologie aus und erfüllt alle Kriterien der tiefenpsychologisch fundierten Psychotherapie. Beinahe alle Menschen können fantasiegetragenen Imaginationen entfalten (nicht nur im Nachttraum, sondern auch in Tagestraumfantasien) und somit sich in einen subtilen dialektischen Prozess treten. Im Gegensatz zum Nachttraum, bei der i.d.R. eine kritische Stellungnahme aufgehoben ist, bleibt es im Tagtraum klar, dass es sich nicht um reale Erscheinungen handelt. Mittels nicht interpretierenden (!) Interventionen kann der Therapeut auf Grund von empirischen Beobachtungen die Imaginationen sinnvoll nutzen (z.B. Versöhnen und Nähren). Nach der Einleitung einer kurzen Entspannungsphase werden vage Vorstellungsmotive vorgegeben und der Klient kann spontan auftretende Gefühle und Affekte entfalten und dabei verbalisieren. Eine emphatisch einfühlende Begleitung durch den Therapeuten ist wesentlich. Obwohl die Durchführung sehr einfach erscheint, ist KiP ein starkes therapeutisches Instrument (auch im Bereich der Kurzzeittherapien), das eine entsprechende Ausbildung und Erfahrung voraussetzt. In der Grundstufe werden weniger Symptomatiken direkt behandelt, sondern die unbewusste Psychodynamik. Durch die Art der Vorlagen / Strukturmotive werden keine Grenzen gesetzt. Projektionen können sich dabei trägheitslos wandeln (mobile Projektionen). Dabei kann KiP sowohl mit Klienten die stark intellektualisieren, als auch mit Klienten, die in Introspektion ungeübt oder auf ein operatives Denken eingeschränkt sind, erfolgreich eingesetzt werden. Der Klient wird gebeten über alle auftauchenden Inhalte fortlaufend zu berichten (dauerhafter Rapport). Der Therapeut stellt sich so ein, dass er alle Inhalte anerkennt und seine Fragen und Hinweise aus der quasi-realen Perspektive formuliert. Wichtig ist, dass der Klient lernt das Gefühlsmoment und die Stimmung wahrzunehmen. Zwischenfragen sollten deshalb vor allem der Klärung von Bilddetails und des Gefühltones dienen.

Skizze eines Ablaufes..
– “Blumentest” im Sitzen, ohne Ankündigung zur Verhinderung einer Erwartungsspannung

– Entspannung
– Einstellung eines Strukturmotives, in der Grundstufe: Wiese (spiegelt häufig die gegenwärtige Stimmung des Klienten wieder) – kann auch als Startpunk für Sitzungen dienen, Bachlauf (ergibt sich auch öfter aus dem Wiesenmotiv), Berg, Haus, Waldrand
– Zurücknehmen

I.d.R. erfolgen keine anschließenden Nachgespräche über die Inhalte. Ggf. Hausaufgabe ein Bild zu malen oder ein Protokoll zu schreiben (und Besprechung am Anfang der nächsten Sitzung).

Für eine Einleitung in die Grundstufe sei z.B. auf das Buch “Katathym-imaginative Psychotherapie (KiP)” von Hanscarl Leuner verwiesen.

Kontraindikationen sind ein IQ unter 85, Psychosen akuter oder chronischer Art oder psychosenahe Zustände, hirnorganische Syndrome, schwere depressive Verstimmung, mangelnde Motivation selbst für eine einfache, nicht aufdeckende Therapie.



Das IFS (Internal Family Systems) Modell

Systemisch, Therapie Posted on Mo, Mai 01, 2017 16:22:32

Das von Richard C. Schwartz (nicht zu verwechseln mit dem Pseudonym ‚Richard Schwartz‘ eines deutschen SiFi Autors) vorgestellte IFS (Internal Family Systems) Modell erweitert die Methoden des intrapsychischen Prozesses und des systemischen Familienprozesses. IFS geht davon aus (wie im Coaching), dass die Menschen alle Ressourcen besitzen, die sie brauchen. Sie werden nur von polarisierten Beziehungen innerhalb ihrer selbst, als auch mit Mitmenschen, gehindert ihre Ressourcen zu nutzen. In der Zusammenarbeit mit dem Klienten, können Zwänge aufgelöst und Ressourcen freigelegt werden.

Statt die menschliche Psyche als eine Einheit zu betrachten, führt das Modell der Multiplizität (verschiedener Teile) zu einem System interagierender Bewusstseinsformen. Vorläufer des Modells der ‚Vielfalt der Psyche‘ waren z.B. Roberto Assagioli (Psychosynthese) und Carl Gustav Jung (aktive Imagination). Jeder hat nach Schwartz dabei neben seinen Teilen (Teilpersönlichkeiten) ein Selbst, das anderes als die Teile ist. Das Selbst verfügt über Klarheit und andere Eigenschaften, die zu einer effektiven Führung notwendig sind. Die Qualitäten des Selbst sind unter anderem: Ruhe (körperlich und geistig), Klarheit (fähig Situation ohne Verzerrung durch extreme Überlegungen oder Gefühle wahrzunehmen), Neugierde (ohne vorschnell zu urteilen, wie ein Kind in seiner Wissbegier), Mitgefühl, Zuversicht, Mut, Kreativität, Verbundenheit, Freude, Humor, Versöhnlichkeit und Dankbarkeit.

Menschliche Systeme streben nach Gleichgewicht, Harmonie, Führung und Entwicklung. Ein Mensch organisiert sich so, dass das Selbst um jeden Preis geschützt wird. Im Falle eines Traumas oder einer intensiven Emotion, trennen Teile das Selbst von den Gefühlen des Körpers ab (dissoziieren). Dadurch, dass die Teile das Selbst auf mehr oder weniger extreme Art schützen mussten, verlieren sie das Vertrauen in dessen Fähigkeit zur Führung und meinen, sie müssten selbst die Führung übernehmen. Menschen haben zu ihren Teilen so ziemlich dieselbe Beziehung, die ihre Eltern zu eben diesen Teilen hatten.

Systeme im Ungleichgewicht neigen zu Polarisierung. Jedes Mitglied der Polarisierung hat Angst, wenn es sich zurückzöge, gewänne das andere oder das System erleide Schaden. Je schlimmer und länger jemand verletzt wurde, desto polarisierter ist das System der Person gewöhnlich. Wie das Bild zweier Matrosen, die sich über beide Seiten des Bootes hinauslehnen um es zu stabilisieren: je mehr sich der eine über Bord lehnt, desto mehr muss der andere es kompensieren. Beide sind in ihren Positionen stark eingeschränkt und keiner mag eigentlich seine Extremposition, dennoch würde das Boot kentern, wenn nur eine der beiden Positionen verlassen würde, während das Boot allein, ohne die extremen Bemühungen es zu stabilisieren, ziemlich stabil wäre. Die einzige Lösung wäre, wenn sie sich beide gleichzeitig nach innen bewegen würden. Da sie aber kein Vertrauen zu einander haben, muss ein Dritter helfen. Ein Dritter (Kapitän), dem sie beide vertrauen und der ihnen versichert, dass der jeweils andere seine Position aufgibt.

Menschliche Systeme organisieren sich dabei in drei Gruppen: die Manager (schützend, strategisch, kontrollierend, um Sicherheit bemüht), die Verbannten (sensibel, evtl. verletzt oder wütend) und die Feuerbekämpfer (heftig und automatisch reagierend, wenn die Verbannten aufgeregt sind, versuchen sie die Gefühle zu unterdrücken oder zu besänftigen). Die meisten Menschen, selbst die, die nie ernstlich verletzt wurden, sind innerlich in diesen drei Gruppen organisiert, da wir sozialisiert wurden, verschiedene Teile zu verbannen, was dann auch die Rollen der Manager und Feuerbekämpfer notwendig macht.

Erwachsene reagieren auf verletzte Gefühle eines Kindes auf die gleiche extreme Art, wie sie auf die verletzten Teile ihres eigenen inneren Kindes reagieren: mit Ungeduld, Verleugnung, Kritik, heftiger Erregung oder Abscheu. Manager-Teile lernen diese Haltungen zu übernehmen und halten das Selbst davon ab, sich um die jüngeren Teile zu kümmern. Wie jede unterdrückte Gruppe werden Verbannte immer extremer und verzweifelter und suchen nach Gelegenheiten auszubrechen und ihre Geschichten zu erzählen. Überdies können Verbannte zu Auffangstellen für Gefühle werden, die andere Teile nicht haben wollen (z.B. die Teile – die Manager – die das Leben lenken müssen). Wenn die Verbannten die Kontrolle übernehmen, bringen sie den Menschen oft in Gefahr. Z.B. können sie nach einem Befreier suchen, welcher der Person ähnelt, die sie ursprünglich zurückgewiesen hat. Unter Umständen bezahlen sie selbst für kleine Mengen an Liebe, Annahme, Schutz einen hohen Preis für die Hoffnung gehört und befreit zu werden. Wenn die Verbannten vollkommen die Führung übernehmen, können wir handlungsunfähig werden, besessen sein, unfähig zu schlafen oder uns zu konzentrieren, ständig aufgeregt oder depressiv. Es gibt noch andere Gründe unsere Verbannten zu fürchten. Sie lassen uns in einer Weise fühlen und handeln, die von anderen geringgeschätzt oder ausgenutzt wird. Für Männer z.B. bedeutet Verletzlichkeit in der typischen westlichen Sozialisierung, Demütigung. In unserer Kultur muss ein Mann in der Lage sein, sich sehr schnell von jeglichen schmerzlichen Gefühlen abzuschneiden, ihre verletzbaren Teile zu verbannen. Es ist kein Wunder, dass Männer ihre Verzweiflung für sich behalten

Manager leben in der Furcht, dass die Verbannten ausbrechen, fliehen könnten und vermeiden Situationen, die die Verbannten aktivieren könnten und versuchen deren Gefühle, Empfindungen oder Erinnerung nicht in das Bewusstsein vordringen zu lassen. Manager können höchst intellektuell sein und wirkungsvoll Probleme lösen aber auch davon besessen sein, Gefühle von sich zu weisen. Als Streber, Kontrolleur, Kritiker und strenger Zuchtmeister sind sie häufig perfektionistisch. Ein anderer Type Manager, als passiver Pessimist, kann Leistungen sabotieren und das Selbstvertrauen zerstören, oder als Sorgenmacher und Wachposten nur die schlimmsten Möglichkeiten aufzeigen und so den Menschen vor Risiken schützen. Andere mögliche Manager Werkzeuge sind Zwänge, Zwangsvorstellungen, Zurückgezogenheit, emotionale Distanz, Phobien, Angstanfälle, somatische Beschwerden, depressive Episoden, Überwachsamkeit oder Alpträume. Immer ist es Ziel, das die gefürchteten Gefühle und Gedanken nicht nach außen dringen, sodass das System sicher bleibt und der Mensch im Leben funktionieren kann. Manager kontrollieren, überprüfen fortwährend auf Risse in ihren Masken von Unverzichtbarkeit, Freundlichkeit oder Perfektion. Auf der Grundlage der Reaktion aus der Außenwelt, aber auch, um ihren schützenden Zwecken zu dienen, entwickeln sie Überzeugungen von ‚Ich bin..‘. Eine nette Person schickt beispielsweise ihre ärgerlichen oder aggressiven Teile in die Verbannung; jemand, der hart arbeitet, gibt seinen verspielten Teilen nicht viel Zeit und eine starke Person versteckt ihre verletzlichen Teile. Manager erschaffen ihre Wirklichkeit. Sie sind für Internalisierung in unserem System zuständig und glauben unser Überleben hänge von der Gnade der äußeren Welt ab. Sie wollen die Welt verändern, damit sie vorhersagbarer und weniger bedrohlich ist und haben Angst vor den Konsequenzen, wenn sie ihre Macht abgeben.

Sollten trotzt größter Anstrengungen der Manager, Verbannte einmal drohen auszubrechen, werden automatisch die Feuerbekämpfer aktiviert. Sie nehmen der Person die Kontrolle, sind impulsiv, gedankenlos, reaktiv. Ihre Maßnahmen umfassen oft sich betäubende Aktivitäten (Selbstverstümmelung, unmäßiges Essen, schützende Wut, Drogen oder Alkoholmissbrauch, den Trost von Selbstmordgedanken, exzessive Masturbation, oder Geschlechtsverkehr mit wechselnden Partnern ohne dauerhafte Bindung), ohne Rücksicht auf Gefahren für den Menschen. Ihre Absicht ist schützend, auch wenn die Handlungen, die sie begehen, selbst destruktiv sind. Feuerbekämpfer sind reaktiv. Sie werden aktiv, sobald die Verbannten aufgewühlt sind und Feuer aufflammt. Ihre Dringlichkeit macht sie auf impulsive Art gleichgültig gegenüber den Konsequenzen. Es sind die Teile, die uns dick, abhängig, feindselig, angeberisch, kränklich, unsensibel und impulsiv machen können.
Zusätzlich können Teile Lasten, extreme Gefühle, Gedanken, Verhaltensweisen oder Gefühle übernehmen, die im Leben von einer Person abgeleitet wurden. Insbesondere junge Teile sind dafür empfänglich.

Tatsächlich ist der Vorgang, sich auf sich oder auf einen Teil von sich zu konzentrieren und ihn zu bitten ‚zurück zu treten‘ einer Form der Meditation ähnlich. Therapeut oder Coach arbeiten mit dem Selbst des Klienten zusammen als wäre er Ko-Therapeut/Ko-Coach. Oft erledigen die Klienten einen Großteil der inneren Arbeit zwischen den Sitzungen.

(aus IFS – das Innere Familien System und IFS – Das System der Inneren Familie. Ein Weg zu mehr Selbstführung)



Innere Kinder

Sonstiges, Therapie Posted on So, Februar 26, 2017 14:09:05

Ein Trauma ist ein Ereignis, das den Menschen unvorbereitet und meist plötzlich überfällt, ohne dass der Betroffene etwas dagegen tun kann. Er wird von der Situation überfordert und fühlt sich ausgeliefert. Sein Leben ist (objektiv oder nach seiner subjektiven Einschätzung) in Gefahr. Außer traumatischen Einzelereignissen (z.B. Gewaltverbrechen, Unfälle, plötzliche Todesfälle), kann es auch mehrfache (z.B. Zivilbevölkerung im Krieg) und serielle Traumaerfahrungen (z.B. Abwertung in der Familie, aber auch Mobbing) geben oder kollektive Traumatisierungen wie bei Katastrophen. Ursachen können Naturkatastrophen, durch Menschen direkt oder indirekt verursachte Katastrophen/ Gewalttaten; sexuelle Gewalt und ihre Vermarktung oder Katastrophen innerhalb der Familien (z.B. Trennung, Sucht, schwere Erkrankungen etc.).

‚Traumatisierte Patienten berichten oft, sie hätten ein eingefrorenes Zeitgefühl oder ihre innere Uhr sei mit dem Datum der Traumatisierung stehen geblieben‘ (Bohleber, 2012). Die emotionale Wucht und Not kann nicht durch (erwachsene) Anteile aufgefangen und kompensiert werden. In dieser Not übernehmen andere (kindliche) Anteile die Aufgabe, die verletzten inneren Anteile zu schützen und andererseits zu bändigen, um der Gesamtperson zu ermöglichen, weiterzuleben und nach außen zu funktionieren. Es kommt zu einer Abspaltung (Dissoziation) um als Ganzes weiter leben zu können.

Die Teile in uns, die uns vor Schmerz schützen wollen, sind unsere Wächter. Das Modell des Innere Kindes (Innere Kinder) gehört zu einer modellhaften Betrachtungsweise innerer Erlebniswelten und bietet so eine verständliche, nachvollziehbare und handhabbare Beschreibung innerer Prozesse. Auch unsere Wächter, die verletzten inneren Anteile schützen, sind innere Kinder. Zwei der Wächter sind der Innere Kritiker und der Rebell sein, die im nachfolgenden charakterisiert werden.

Der Teil, in den wir durch die Spaltung als erstes rutschen, ist das Kind, das sich an die Erwartungen unserer Bezugspersonen anpasst und sie zu erfüllen versucht. Es stellt uns etwas Statisches hin, eine Idealvorstellung, und sagt: So musst du sein, sonst bist du nichts wert! Der Druck, den dieser Teil aufbaut, ist existentiell. Es interessiert ihn ausschließlich, dass wir das Richtige hervorbringen und leisten, egal wie. Härte, Disziplin, hart gegen sich selbst zu sein, kämpfen, Erfolg erringen, das ist seine Devise. Dieser Teil ist zwar Kind, spricht aber in der Stimme eines autoritären Erwachsenen mit uns. Wir sind aus seiner Sicht ein Objekt, das man verändern kann und muss, und zwar mit Druck.

Auf diesen Druck ‚Ändere dich oder stirb!‘ reagiert der innere Rebell mit Wut, Empörung und Trotz. Folgen wir ihm, sind wir für einen Moment vom Druck des Inneren Kritikers befreit. Dann veranstalten wir Exzesse, tun Verbotenes, und wollten nur eines, nämlich dem Inneren Kritiker Hohn spotten. Die Reaktion darauf sind Schuldgefühle, was nichts anderes ist, als die Rückkehr des Inneren Kritikers.

Wenn wir mit unseren Wächtern identifiziert sind, zensieren wir, was wir von uns preisgeben; überlegen wir, was wir sagen, um nicht verletzt zu werden, aber auch nicht von anderen für blöd gehalten zu werden. Unsere Aufmerksamkeit ist ganz nach Außen gerichtet. Wir sind voller Angst, aber merken nicht, dass sie in uns ist. Wir spüren unseren Körper kaum, haben keinen Kontakt zu unserem Bauch, atmen flach im Brustkorb; sind mit unserer Energie oberhalb des Zwerchfells, die Schultern angespannt oder verspannt, ganz im Kopf. Definitiv glauben wir, was wir denken. Wir haben keinen Abstand zu unseren Gedanken. Wir haben keine Präsenz. Wir sind eng, unser Bick eingeschränkt ohne Kontakt zu unseren wirklichen Gefühlen. Wir konstruieren stattdessen unsere Gefühle, oben, im Kopf, meist vermischt mit Deutungen und Schuldzuweisungen. Wir können dabei vermeintlich Schuldige dehumanisieren. Deswegen ist jedes Mittel recht, sich gegen ihn zu wehren. Wir sind in einem Kampf ums Überleben und für alles andere blind. Was wir anderen in dem Glauben vorwerfen, völlig im Recht zu sein, trifft, noch während wir es aussprechen, auf uns selbst zu. Wir haben in unserer Kindheit gelernt so zu reagieren. Es ist eine konditionierte Reaktion. Diese automatische Abwehrreaktion springt an, wenn wir verletzt werden oder verletzt werden könnten. Als wir Kind waren, stimmte das auch. Das wir heute zum Kind werden, das ist die Regression. In dieser Regression reagieren wir also nicht auf die Gegenwart, sondern auf die Vergangenheit, wir reagieren nicht auf das wirkliche Gegenüber, sondern auf eine Person in unserer Vergangenheit. Unsere Wächter wollen um jeden Preis vermeiden, dass wir in den Kontakt mit unseren Schmerzen gehen. Dabei können sie sogar konstruieren, wie es wäre, wenn wir in diesen Kontakt gehen würden. Im Wächter wird über den Kontakt mit den Gefühlen geredet und scheinbar tiefsinnig erörtert, dabei wird aber nur so getan, als habe man diesen Kontakt. Der Kontakt ist konstruiert und wird vom Wächter simuliert. Im Körper allerdings passiert nichts. Das mag sich verkopft anhören, und genau das ist es auch. Sind wir identifiziert mit dem inneren Kritiker, verlieren wir den Kontakt zum Lebendigen.

Zusammengestellt aus

‚Wenn die Seele verletzt ist‚, Christiane Sautter
‚Traumaheilung durch Radikale Erlaubnis‘, Mike Hellwig
‚Das Innere Kind in der Psychotherapie‘, Dagmar Kumbier