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für systemisch, konstruktivistisch arbeitende Coaches, Berater, Therapeuten und alle Interessierten

Was heißt ‚Systemik‘ in Therapie und Coaching?

Konstruktivistisch, Philosophie, Psychologie, Systemisch, Therapie Posted on So, Februar 02, 2020 15:11:09

Regeln in sozialen Systemen erkennt man an Einschränkungen von Verhaltensoptionen der Systemmitglieder und daran, welche Bedeutungen den Dingen zugewiesen werden und welches Verhalten als möglich und unmöglich angesehen wird. Bei diesem (oft nicht bewussten) Aushandeln der Regeln ist wichtig, dass wir in der Lage sind, uns in andere Menschen hineinzuversetzen, in dem wir den anderen ein Bewusstsein unterstellen, das unserem ähnlich ist. Wir handeln auf Grund unserer Erwartungen darüber, was die Erwartungen der anderen sind (Erwartungs-Erwartung). Aber natürlich können wir über das Verhalten der anderen nicht sicher sein, denn unsere Erwartungen können falsch sein und so kommt es zu nicht vorhersehbaren Überraschungen. Regeln werden autonom innerhalb des Systems ausgehandelt. Sie werden gemeinsam konstruiert. Die Philosophie des Konstruktivismus ist damit die erkenntnistheoretische Grundlage einer systemischen Haltung und Denkens. Ein System definiert sich selbst. Man kann auch sagen, ein System ‚ist‘ die Differenz zwischen sich und seiner Umwelt (Luhmann). Systeme erschaffen und erhalten sich selbst (sind ‚autopoietisch‘). Die sozialwissenschaftliche Theorie sozialer Systeme stammt von Niklas Luhmann, dessen Bücher bis heute kaum in andere Sprachen, insbesondere Englisch, übersetzt wurden. Dennoch haben seine Grundlagen die Theorie der systemischen Therapie im deutschsprachigen Raum stark geprägt. In der Medizin und insbesondere Psychologie, ist heute das allgemeine Verständnis, das alles Geschehen, insbesondere bei Störungen, bio-psycho-sozial zu betrachten ist. Luhmann schlug vor, für das Verständnis menschlicher Wirklichkeit, drei Klassen von autopoietischer Systeme zu unterscheiden: biologische Systeme (Leben), psychische Systeme (Bewusstsein) und soziale Systeme (Kommunikation). Dass diese drei Systeme in relativ starker Unabhängigkeit von einander arbeiten, hat für eine systemische Sicht einer Therapie und Coaching weitreichende Konsequenzen:

  • Unabhängigkeit Psyche und Kommunikation: Menschen können sich grundsätzlich nicht gegenseitig durch Kommunikation verstehen. Kommunikation regt, als ‚Umwelt‘ des Systems Psyche, lediglich Prozesse an.
  • Unabhängigkeit des Systems Kommunikation: Im System Kommunikation entwickeln sich, durch das ‚Eigenleben‘ im System Kommunikation, Muster, die anders ablaufen, als es sich die Beteiligten wünschen.
  • Unabhängigkeit des Systems Psyche: Gefühle sprechen nicht. In der Therapie kann deshalb lediglich mit der Kommunikation über den Umgang mit Gefühlen gearbeitet werden.
  • Unabhängigkeit Kommunikation vs. Psyche und Biologie: Die Kommunikation im Coaching und Therapie kann nicht direkt auf Pyche oder die Biologie einwirken, sondern als ‚Umwelt‘ lediglich Prozesse anregen.

In einem konstruktivistischen Verständnis gehen wir davon aus, dass wir als Menschen niemals eine objektive Wahrheit (sollte es diese jemals geben) erkennen können. Unsere Sensorik nimmt lediglich Reize wahr. Die Beurteilung dieser Reize, unsere Kognition, ist es, die diesen einen Sinn verleiht. Wir konstruieren einen Sinn. Sinn ist nicht allein in der Welt vorhanden. Er wird von uns als Beobachter erschaffen und erhalten. Im sozialen Konstruktivismus gibt es nicht Menschen die miteinander sprechen, sondern es gibt Geschichten (Narrationen), die eine Wirklichkeit, unabhängig von den einzelnen Menschen, erschaffen. Systemik in Therapie und Coaching heißt damit auch, die Kraft einer Perspektivenvielfalt zu nutzen und den Umgang mit Bedeutungen von Narrationen (z.B. durch Metaphern) neu zu verhandeln, in einem ‚Tanz der Bedeutungen‘.

Die Kongruenz des Systems ‚Sozial‘ mit ‚Kommunikation‘ hat ebenfalls weitreichende Bedeutung. Unsere Geschichte, also die Beobachtung und Definition unserer gesellschaftlich akzeptierten Wahrheit, durch die Unterdrückung alternativer Geschichten mit Hilfe der Massenmedien, ist immer auch mit sozialer Macht verbunden. Geschichte schreiben immer die Sieger. Aber auch die Sprache selbst, als einer der wichtigsten Kommunikationsmittel, war schon immer mit Macht und Machtausübung verbunden (vergl. Foucault und Derrida – Macht durch normierte Wahrheiten).

In einer systemischen Sicht ist die Welt nicht einfach kausal, schon gar nicht linear kausal, sondern ein komplexes Geschehen. Sie ist nicht so ‚ordentlich‘ und berechenbar wie wir sie gerne hätten (denn das gibt uns Sicherheit). Stabilität und Ordnung sind eher Konstruktionsleistungen eines oder mehrerer Beobachter. Kausale Beschreibungen können in Systemen problematische Folgen nach sich ziehen, die bei einem systemischen Arbeiten in Coaching und Therapie in Frage gestellt werden. ‚Probleme‘ lassen sich systemisch als Kommunikation verstehen, die etwas als unerwünscht und veränderbar bewertet. Ein Problem wird aus folgender Zusammenwirkung konstituiert: Einer Selektionsleistung von einer oder mehreren Personen, die einen Zustand beschreiben; beobachtet von einer oder mehreren Personen, die diesen Zustand entdecken und beschreiben; bewertet als unerwünscht oder veränderungsbedürftig von einem oder mehreren Beobachtern; und zumindest ein Beteiligter glaubt daran, dass dieser Zustand änderbar sei (anderenfalls ist es Schicksal). Probleme werden aus systemischer Sicht erfunden und entdeckt (konstruiert). Ein Problem erschafft auch ein System (problemdeterminierendes System) in dem die kollektive Aufmerksamkeit auf ein Problem gelenkt wird, eine Erklärung für das Problem erfunden (konstruiert) und diese verfestigt und aufrechterhalten wird. Sie werden erzeugt und aufrechterhalten, weil sie nützlich im System sind. Probleme in systemischer Sichtweise erfüllen eine Funktion (z.B. Aufrechterhaltung einer Stabilität/Gleichgewicht in einem System). Aus Sicht der systemischen Therapie sind Krankheiten Probleme, die differenziert, aus bio-psycho-sozialer Perspektive betrachtet werden sollten. So gibt es z.B. im Englischen für das deutsche Wort Krankheit gleich drei Wörter, mit unterschiedlichen Bedeutungen: disease (bio-medizinisch), illness (psycho-erlebte) und sickness (sozial anerkannt).



Lyotard und das Ende der großen Metaerzählungen

Philosophie Posted on So, Februar 02, 2020 14:04:27

Jean-François Lyotard (‚Das Postmoderne Wissen‘, 1979) entwickelte die These, dass wir Menschen den Meta-Erzählungen der Vergangenheit keinen Glauben mehr schenken. Diese seien: Aufklärung, Idealismus und Historismus. Sie würden den heutigen Menschen keine Orientierung mehr bieten. Deshalb seinen wir anfälliger für Zerstreuung und Totalitarismus geworden.



Existenz und unsere Furcht vor dem Nichts

Philosophie Posted on Mi, Januar 16, 2019 13:15:21

Wir Menschen sind die einzigen Kreaturen, für die die eigene Existenz das Problem ist. Unsere Existenz ist immer von dem Wissen überschattet, dass wir wachsen, gedeihen und unausweichlich welken und sterben werden. Epikur glaubte, dass es unsere allgegenwärtige Furcht vor dem Tod sei, welche Grundwurzel allen Elends sei und keine Freude ungetrübt lasse. Epikurs Position „Da wir tot sind, wissen wir nicht, dass wir tot sind, und was gibt es in diesem Falle zu fürchten?“ ist quasi die Antwort auf Woody Allen: „Ich habe keine Angst vor dem Tod, ich will nur nicht dabei sein, wenn er kommt“.

Im jungen Erwachsenenleben werden die Todesängste durch zwei Hauptaufgaben beiseitegeschoben: Karriere machen und eine Familie gründen, Jahrzehnte später ereilt uns die Midlife-Crisis, und die Furcht vor dem Tod bricht erneut mit aller Macht aus („Nur angesichts des Todes wird das Selbst des Menschen geboren“, Cicero). Je geringer die Zufriedenheit im Leben, desto größer die Todesfurcht („Lebe dein Leben. Werde, der du bist. Stirb zur rechten Zeit. – Nietzsche“).

Todesfurcht ist die Mutter aller Religionen. Gott, Überkulturell formuliert, mildert häufig nicht nur den Schmerz der Sterblichkeit durch irgendeine Vision von ewigem Leben, sondern lindert auch die furchterregende Isolation durch die Option einer ewigen Präsenz und liefert einen klaren Plan für ein sinnvolles Leben. Die Angst vor dem Tod erzeugt Probleme, die zunächst nicht direkt mit der Sterblichkeit in Beziehung zu stehen scheinen. Furcht vor dem Nichts heftet sich schnell an ein greifbares Objekt an („Furcht vor dem nichts versucht immer, Furcht vor etwas zu werden“, Rollo May). Für viele Eltern stellen z.B. Kinder ein ‚Unsterblichkeitsprojekt‘ dar.

Man kann jemandem, der dem Tod gegenübersteht, keinen größeren Dienst erweisen, als ihm die reine Anwesenheit anzubieten. Beziehung hat Priorität. Springen Sie hinein. Kommen Sie den anderen in jeder Weise nahe, die Sie als geeignet empfinden. Sprechen Sie aus dem Herzen. Offenbaren Sie Ihre eigenen Ängste. Improvisieren Sie. Es ist nie zu spät. Sie sind nie zu alt.

Wir müssen die Rudimente eines medizinischen Modells aufgeben, das postuliert, Patienten seien von einem seltsamen Leiden befallen und bräuchten einen leidenschaftslosen, fehlerfreien, distanzierten Heiler. Wir sind alle mit demselben Schrecken konfrontiert, der Wunde der Sterblichkeit, dem Wurm im Kern unserer Existenz.

(frei zusammengestellt aus Irvin D. Yalom in ‚In die Sonne schauen‘)



Philosophie aus systemisch-konstruktivistischer Sicht

Philosophie Posted on So, August 12, 2018 11:51:01

Wir leben heute in einer industriellen Welt, einer Welt der gegenseitigen wirtschaftlichen Abhängigkeit. Arbeitsteilung steigert die Produktivität und sorgt für einen größeren Wohlstand. Die Theorie der ‚unsichtbaren Hand‘ nach Adam Smith ist bis heute die Philosophie des kapitalistischen Marktmodelles. Die unsichtbare Hand im freien Spiel von Angebot und Nachfrage, die den Menschen und der Gesellschaft, getrieben durch Egoismus, Wohlstand generiert. Ein Gegen-Entwurf stammt von Karl Marx, der im freien Spiel von Angebot und Nachfrage langfristig Krisen und Zusammenbruch sah und deshalb empfahl Privateigentum gänzlich abzuschaffen. Eine Forderung, die auch Rousseau erhob, der im Eigentum die Hauptursache aller modernen Laster sah. Marx betonte, dass uns unsere Arbeit prägt: Wir sind das was wir tun und wie wir es tun. Alles was in unser Köpfen vorgeht sei tatsächlich nur die Widerspiegelung der jeweiligen materiellen Produktionsverhältnisse. Nicht das Bewusstsein bestimmt das Leben, sondern das Leben bestimmt das Bewusstsein.

Tatsächlich sind sozial Wissen und Macht untrennbar miteinander verbunden. “Als Wesen sind wir alle unsichtbaren sozialen ‚Kontrollen‘ mittels vorsprachlicher Praktiken und den darin enthaltenen soziokulturellen Koordinationsmuster unterworfen.” (Karl Tomm)

Michel Foucault hat Macht durch normierte Wahrheiten eindrucksvoll z.B. in seinem Machtmechanismus des Panopticon demonstriert, eine Maschinerie, in der alle eingefangen sind: diejenigen, die die Macht ausüben ebenso, wie diejenigen, die ihr unterworfen sind. Macht wirkt sich gestaltend aus: Wir sind der Macht durch normierte Wahrheiten unterworfen (Wahrheiten im Sinne konstruierter Ideen, denen Wahrheitsgehalt zugeschrieben wird), die unser Leben und unsere Beziehungen formen. Diese Wahrheiten werden wiederum durch die Anwendung von Macht hervorgebracht. Damit sind auch Macht und Wissen untrennbar verbunden. Macht kann nur im Einklang mit einem bestimmten System ‚wahrer‘ Überzeugungen ausgeübt werden. Wir unterliegen der Produktion von ‚Wahrheit‘ durch Macht und wir können Macht nur durch die Produktion von ‚Wahrheit‘ ausüben. Wir sind gezwungen, in einem Netzwerk von Macht/Wissen zu handeln; darin unterliegen wir den Auswirkungen der Macht und üben diese gleichzeitig im Hinblick auf andere aus.

Im Zeitalter einer immerwährenden Überprüfung und selbstverständlicher Objektivierung haben wir eine Gesellschaftsform der Normierung geschaffen, in der die Folter und Bestrafung früherer souveräner Macht durch Bewertung ersetzt wurde. Diese Form der Macht etabliert sich zwischen den Zeilen durch Bewertungen darüber was normal, was recht und unrecht ist. Eine Unterwerfung unter die besagten ‚Wahrheiten‘ (Normen) führt in der Regel zu einem Gefühl des Unvermögens gegenüber diesen Erwartungen. Menschen werden zu ‚fügsamen Körpern‘.

Marx hebt hervor, dass die jeweiligen Produktionsweisen einer Gesellschaft eine entsprechende Ideologie hervorbringen, die das Herrschaftssystem rechtfertigt und damit nur einem kleinen Teil der Bevölkerung wirklich nützt. In Religion sah er lediglich eine Trostfunktion, die dadurch der Verbesserung im Jetzt im Weg steht. Gesellschaftliche Entwicklung und die ganze Geschichte der Menschen, sah Marx als Konflikte zwischen Herrschenden und Beherrschten (Klassenkampf). Die Entfremdung von der Arbeit (das fertige Produkt gehört dem Arbeiter nicht) führt zu einer Spaltung, in der der Arbeiter sich nicht mehr in der Arbeit, sondern nur noch in der Freizeit verwirklicht und versucht zu leben. Für ihn beginnt das Reich der Freiheit dort, wo das Arbeiten, bestimmt durch äußere Zweckmäßigkeit, aufhört.

Aber Adam Smith hat nicht nur den freien Wettbewerb gefordert. Für ihn war der gesunde Egoismus des Menschen auch dafür verantwortlich, für sich selbst zu sorgen! Der Staat sollte nicht nur den freien Wettbewerb schützen, sondern auch all die Funktionen wahrnehmen, die notwendig sind, aber keinen ausreichenden Gewinn abwerfen. Er wünschte sich großzügige Ausgaben für Jugend-Bildungseinrichtungen, aber auch für ‚jedes Alter‘.

Was ist, wenn nicht entweder oder richtig sind, Kapitalismus oder Marxismus, sondern beide gleichzeitig? Z.B. Kapitalismus zusammen mit einem Grundeinkommen? Was ist, wenn nicht nur eine Geschichte wahr ist, sondern beide und auch weitere Geschichten? So, wie im Konstruktivismus nicht nur eine Landkarte eines Menschen, sondern auch alle anderen gleichzeitig wahr sind und all das eben auch zu den Fakten in dieser Welt gehört (Wittgenstein).

Wittgenstein stellte Sprache in den Mittelpunkt seiner Philosophie. Sprache als unser Käfig aus dem es kein Entkommen gibt. Die Grenzen meiner Sprache bedeuten die Grenzen meiner Welt. Mehr noch, er beschrieb im Tractatus wie Erkenntnisse der Welt einzig zu beschreiben seinen, womit er im Grunde nur noch wissenschaftliche Aussagen über die Welt zuließ (Wovon man nicht sprechen kann, darüber muss man schweigen). Deshalb kann man moralische Sätze auch nicht überprüfen. Für ihn war alle Philosophie nur Sprachkritik. Erst in seinem späten Werk ‚Philosophische Untersuchungen‘ ging es ihn nicht mehr um die logisch korrekte Formulierung von Sätzen, sondern um die Sprache in unserem alltäglichen Gebrauch.

Nach Wittgenstein betreiben wir täglich ‚Sprachspiele‘, die unser Denken und Wahrnehmung zutiefst beeinflussen und prägen. In diesem Sprachspiel erzeugen wir eine eigene Wirklichkeit. Wörter bekommen ihre Bedeutung erst durch den jeweiligen Gebrauch innerhalb dieser Sprachspiele. Systemisch-konstruktivistisch würden wir sagen ‚Im (sozialem) System werden Informationen (Tatsachen) konstruiert und deren Bedeutung und Bewertungen verhandelt (ebenfalls konstruiert)‘. Sprachspiele müssen dauerhaft in einer Gesellschaft angewendet werden um dort verankert zu bleiben und um weiter gespielt werden zu können. Mit der Geburt sind wir existentiell in bestimmte Sprachspiele eingebunden. “Die Bedeutungen eines Wortes oder eines bestimmten Verhaltens kann dadurch konstruiert und erfunden werden, wie dieses Wort in der sozialen Interaktion – in einem spezifischem Kontext – verwendet wird.” ( Steve de Shazer)

Nach Wittgenstein gibt es nicht keine, auch noch so private Vorstellung, die nicht in ein Sprachspiel und deren Regeln eingebunden ist. Wir alle spielen Theater (siehe auch gleichnamiges Buch von Erving Goffman), haben damit zwar die Sicherheit der sozialen Rolle, aber bringen uns um die Chance zu echten Beziehungen.

Umgekehrt kann auch ein neues Sprachspiel eine Veränderung der Wirklichkeit nach sich ziehen. Mächtige haben zu allen Zeiten versucht das Sprachspiel ihrer Untertanen zu kontrollieren und zu beeinflussen (auch eindrucksvoll im Roman 1984 als Neusprech beschrieben).

Wenn unser Leben für uns problematisch oder unbefriedigend ist, müssen wir die (Sprach)Form ändern: Die Sprache der Lösungsentwicklung ist eine andere als die, die zur Problembeschreibung notwendig ist (Steve de Shazer).

Auch für Adorno ist Sprache keine harmlose Zuordnung von Wörter und Begriffen, sondern kann zu einem gefährlichem Organ der Herrschaft werden, denn in Wörtern und Begriffen steckt bereits, ohne dass wir es merken, ein Macht- und Herrschaftsanspruch. Von Geburt an bewegen wir uns so in einer manipulierten Welt. Nach ihm, müssen wir uns diesem Zusammenhang bewusst sein und uns einer Art permanenter Selbstkritik am eigenen Denken unterziehen. Philosophie ist für ihn, anderes als für Wittgenstein, der permanente, aber auch verzweifelte Versuch, das zu sagen, was sich nicht sagen lässt. Adorno kritisiert auch die Naturwissenschaft wegen ihrer eingeschränkten Sichtweise, die nur das als wahr gelten lässt, was sich messen und in Experimenten wiederholen lassen kann. Außerdem würden sich Naturwissenschaftler sich selbst nicht eingestehen, dass auch sie unter einem bestimmten Machtzwang stehen. Für ihn ist die moderne kapitalistische Gesellschaft auf Abwegen, weil sie zwar Wohlstand hat, aber gleichzeitig den Sinn für die Natur und ihr eigene Liebesfähigkeit verloren hat. Zwischenmenschliche Beziehungen würden verdinglicht und die natürliche Anteilnahme am anderen schwindet. Jeder kämpft für sich allein. “Jeder Mensch heute, ohne jede Ausnahme, fühlt sich zu wenig geliebt, weil jeder zu wenig lieben kann.” Ähnliches hatte der Dalai-Lama in seinem Buch ‚Das Buch der Menschlichkeit: Eine neue Ethik für unsere Zeit‘ kritisiert.

Wo Sprache für Adorno Verblendung und eine fast unlösbare Aufgabe sich nicht dumm machen zu lassen ist, ist sie für Habermas ein hartnäckiger Ausdruck eines Anspruchs nach immer besserer Verständigung zwischen den Menschen. Verständigung sei als Ziel in jeder Sprache angelegt. Wenn wir etwas sagen, dann unterstellen wir, dass das Gesagte eine Chance hat, auch gehört und verstanden zu werden. Damit sei in jeder Sprache ein Vernunftsanspruch nach Verständlichkeit, Wahrheit, Wahrhaftigkeit und Richtigkeit angelegt. Im Idealfall können wir im Gespräch diese Ansprüche einlösen, wenn es angstfrei und unabhängig von Macht geführt wird (im herrschaftsfreien Diskurs). Er empfiehlt diesen Grundsatz dem kategorischen Imperativ von Kant zum ethischen Handeln hinzuzufügen.

Habermas sah Verständigung als angelegten Sinn in der Sprache. Nach Niklas Luhmann ist allen psychischen und sozialen Prozessen ein ‚Sinnzwang‘ auferlegt. Sinn kann man weder vermeiden noch verneinen. Sinn steuert Selektionen z.B. in der Kommunikation. Es wird immer nur gesagt und getan, weil man es für sinnvoll erachtet. Es geht nicht anders! Das bedeutet, dass Sinn nicht in der Welt steckt, sondern von Operateuren und Beobachtern zugeschrieben wird. Sinn wird immer zugewiesen, er wird ‚konstruiert‘. Dabei ist nach Luhmann der Sinn von Kommunikation keinesfalls eine erfolgreiche inhaltliche Verständigung. Kommunikation sei nicht auf Konsens ausgelegt, auch nicht auf Dissens. Kommunikation ist Differenz. Erfolgreiche Kommunikation ist fortgesetzte Kommunikation; Kommunikation ist erfolgreich, wenn sie erfolgt und weiter erfolgt. “Kommunikation hat keinen Zweck. Sie geschieht, oder geschieht nicht – das ist alles was man dazu sagen kann”. Kommunikation in der soziologischen Systemtheorie von Luhmann besteht nicht aus zwei, sondern drei Aktionen (1) Selektion der Information, (2) Selektion der Mitteilung und (3) Selektion der Annahme, des Verstehens. Kommunikation ist eine Einheit, die Mitteilen, Information und Verstehen auf mehreren Seiten einschließt. Kommunikation beginnt deshalb logisch mit dem Verstehen und nicht, wie oft angenommen wird, mit einer Mitteilung. Information wird durch einen Beobachter konstruiert. Erst durch einen selektiven Akt der Aufmerksamkeit und Zuschreibung von Bedeutung wird etwas zur Information gemacht. Ein Beobachter trifft eine Unterscheidung, er kreiert eine Differenz zwischen dem, was er als Information ansieht, und allem anderen. Auch eine Mitteilung ist immer eine Selektion: eine Entscheidung für eine bestimmte Information, gegen eine andere mögliche. Eine weitere Selektion bedeutet zu verstehen, dass es sich um eine Mitteilung handelt; nicht etwa etwas ‚richtig‘ zu verstehen. Nach Luhmann ist es nicht die Mitteilungsabsicht eines Senders, sondern die Interpretation als Mitteilung durch einen Empfänger die darüber entscheidet, ob Kommunikation vorliegt oder nicht.

Zurück zu dem Thema Sinn, dass insbesondere Heidegger und Sartre beschäftigten. Was ist der Sinn vom Sein? Der Mensch ist, ohne eine vorgegebene Antwort auf das Woher, Wohin oder Wozu, zu haben. Wir sind geworfen, in-die-Welt-geworfen und uns selbst verantwortet. Es gibt am Ende nichts, das uns sagt warum wir überhaupt leben sollen. Laut Sartre gründet sich das menschliche Dasein im Kern auf Nichts, weshalb wir dazu verdammt sind unsere Entscheidungen selbst zu treffen. Nichts kann diese Freiheit einschränken. Und davor haben wir Angst (“Wir sind Angst.”). Ein Herausreden auf determinierende Fakten wie Erziehung, Erbanlagen, Milieu oder Zufälle sei reine Unaufrichtigkeit. Der Mensch ist im Kern seines Seins Freiheit, denn er ist Mangel an Identität. Wegen dieses Mangels muss er seine eigene Identität entwerfen, ohne dass er diesen Entwurf rechtfertigen oder begründen könnte (“Das Leben hat a priori keinen Sinn. Bevor Sie leben, ist das Leben nichts, es ist an Ihnen ihm einen Sinn zu geben.”). Er ist also zur Freiheit verurteilt, weil er nicht anders sein kann, als ein Entwurf von sich selbst zu sein. Die Freiheit des Menschen ist eine dreifache Verdammnis: 1. werden wir in die Existenz als Freiheit hineingeworfen, 2. müssen wir ständig Möglichkeiten auswählen und 3. sind wir verurteilt für diese Auswahl gerade zu stehen und die Schuld auf uns zu nehmen.

Als einer der ersten Philosophen überhaupt erforschte Sartre die Struktur der zwischenmenschlichen Beziehungen: Ein anderer Mensch tritt in mein Zimmer. Ich erlebe, wie dieser Mensch seine Welt organisiert, in dem er mich registriert. Ich erfasse intuitiv, dass der Andere einen Aspekt meines Seins erlebt, der mir entgeht. Er erfasst mein äußeres Sein, das ich nicht erfassen kann. Das ist das “Mitten-in-der-Welt-sein”. Der Andere trägt mein äußeres Sein. Er wird mein “Für-mich-sein” mit gewissen Qualitäten versehen, mich irgendwie objektivieren und mich zu einem “An-sich-sein” erstarren lassen. Ich erlebe den Blick des Anderen. Ich empfinde Unbehagen. Alles in mir sträubt sich gegen seine Zuweisung. Ich bin und will mehr sein. Wenn ich mich erkannt fühle, schäme ich mich. In meiner Scham offenbart sich der Vorgang des Wiedererkennens des eigenen Selbst im Blick des Andren. Meine Beziehung zum anderen ist prekär. Er trägt mein äußeres Sein und er kann mir als Spiegel dienen. Insofern ist er notwendig für meine eigene Identitätsfindung. Das Urteil des Anderen dient mir als Spiegel. Dessen Urteil ist hingegen frei, so dass mein Spiegelbild niemals gesichert ist. So ist meine Lage hinsichtlich des Anderen permanent gefährdet (“Die Hölle, das sind die Anderen”). In anderen Worten, die Menschen sind auf die Liebe, die Meinung und die Reaktionen der anderen Menschen im System existentiell angewiesen, um überhaupt ein Selbstgefühl oder eine Vorstellung von sich zu bekommen. Wir wollen von anderen zwar anerkannt werden, können uns dieser aber nie sicher sein, da die anderen Menschen prinzipiell frei sind und uns jederzeit ablehnen können. Wir befinden uns in einem ständigen Kampf um Anerkennung. Unsere Identität hängt zutiefst von den Anderen ab.

Adorno fordert von uns, die permanente Nicht-Identität und das Aushalten des Nicht-Identischen, was schwierig ist, denn der Mensch strebt nach Versöhnung und Identität. Wir sollten uns in der Nicht-Identität die Offenheit bewahren und allein durch diesen Widerstand einen Schritt in Richtung ‚richtiges‘ Leben machen, ohne davon irgendeine konkrete Vision zu haben.

Camus beantwortete die Frage nach dem Sinn des Lebens wie folgt: Es gibt keinen. Das Leben ist absurd: ‚In diesem Zustande des Absurden muss man leben‘. Das Gefühl der Absurdität erlebt der Mensch im Erkennen der Unvereinbarkeit seines inneren Strebens nach Ordnung und einer irrationalen, nicht zu kontrollierenden Welt. Wir könnten dies besonders dann wahrnehmen, wenn unsere (normale) Welt zusammenbricht. In der Regel vermeiden die Menschen die Wahrnehmung des Absurden indem sie versuchen ihrem Leben einen Sinn zu geben und sie sich an Routinen festhalten. Das ist das menschliche Drama: einerseits müssen wir die Suche nach dem Sinn unternehmen, andererseits ist diese zu Scheitern verurteilt. Unsere Aufgabe sei es, uns mit dem Absurden abzufinden, es zu akzeptieren.

Schopenhauer meint, dass unser Dasein letztlich die leidvolle Erfahrung macht, dass unser einziger Lebenssinn in der mühevollen Erhaltung desselben besteht und es darüber hinaus keinen hat (die fünfte Dimension des Leidens). Das Leben sei ein fortdauernd gehemmtes Sterben, ein aufgeschobener Tod. Jeder Mensch, so Schopenhauer, habe ein Bedürfnis nach einer umfassenden Sinnerklärung.

Wir geben allein schon durch den Gebrauch der Wörter ’sein‘ und ‚ist‘ den Dingen einen Sinn. Heidegger hat es so formuliert: ‚In allem Erkennen, Aussagen, in jedem Verhalten zu Seiendem .. wird von “Sein” Gebrauch gemacht .. Allein diese durchschnittliche Verständlichkeit .. macht offenbar, dass .. wir je schon in einem Seinsverständnis leben ..‚. Heidegger stellt auch die These auf, dass die meisten Menschen den Sinn ihres Lebens verfehlen, indem wir in der Regel nur das tun, was gerade angesagt ist und was ‚man‘ eben tut. Ein Verfallen-sein an ein anonymes ‚Man‘ Leben. Diese Lebensweise ist sehr bequem. Im Grunde ist sie Flucht aus der eigenen Verantwortung. Ähnlich wie Camus sagt Heidegger das es im Grunde einer existentiellen Krise bedarf, um uns daraus zu befreien. Die Stimmung der Angst vor dem ‚Nichts‘ in der unser ganzes bisheriges eben in Frage gestellt wird, die uns bedroht und erschüttert, eröffnet uns dennoch die Chance uns selbst zu finden. Dabei können wir mit unserem Dasein niemals ganz in der Gegenwart sein, weil wir nicht aufhören können uns um unsere Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft zu sorgen. Der Mensch plant ständig voraus und entwirft sein Dasein in jeder Sekunde auf die Zukunft hin. Er ist sich selbst vorweg. Ein Vorteil ist: wir können uns jederzeit neu entwerfen. Auch unsere Bewertung vergangener Geschichten und Lebenslinien kann neu entworfen werden (Es ist nie zu spät eine glückliche Kindheit zu haben, Fuhrmann). Nach Heidegger sind wir mit unserem Dasein existentiell schuldig, denn wir müssen permanent Entscheidungen treffen und dafür einstehen (siehe auch die ‚dreifache Verdammnis‘ nach Sartre).

Eine Flucht aus unserer Verantwortung beschreibt Nietzsche. Wir alle hätten zwar Gott Schritt für Schritt seine welterklärende Kraft entzogen (“Gott ist todt!”), aber wir hätten sogleich wieder neue Götter und Götzen geschaffen, die uns Orientierung geben, z.B. unsere Sucht nach Konsumgütern. Alle Werte würden dem Spiel von Angebot und Nachfrage untergeordnet, am Ende auch der Mensch selbst. Wir müssten selbst an die Stelle von Gott treten und werden wir sind (der Übermensch).

Alle vernuftsorientierten Interpretationen sind für Freud Unsinn. Es sei genau umgekehrt. Der Mensch ist ein Triebwesen (Der Mensch ist nichts anderes und nichts Besseres als die Tiere). Aber ein Tier könne nicht an einer neurotischen Störung leiden, da es den gesünderen Weg geht und keine moralischen Skrupel kenne. Die menschliche Psyche hat die erstaunliche Fähigkeit, Konflikten auszuweichen, zu leugnen und zu verdrängen und so lange ungelöst zu lassen, bis sie unter Umständen sogar krank machen: “Alle, die edler sein wollen, als ihre Konstitution es ihnen gestattet, verfallen der Neurose. Die Neurose verleugnet die Realität nicht, sie will nur nichts von ihr wissen; die Psychose verleugnet sie und sucht sie zu ersetzen”. Psychische Erkrankungen seien eine Folge davon, dass das ICH unter den Belastungen der Realität, den unbändigen Wünschen des ES oder den strengen Ansprüchen des ÜBER-ICH geschwächt ist und ggf. zusammenbricht.

Zusammenfassend…

Unser Leben, unser Dasein, bestimmt unser Bewusstsein. Wir leben eingebunden in ein Netzwerk von Wissen und Macht durch normierte Wahrheiten, in einem Zeitalter einer immerwährenden Überprüfung und selbstverständlicher Objektivierung. Einer Gesellschaftsform der Normierung durch Bewertung. Sprache ist immer auch ein Macht- und Herrschaftsanspruch. Sprache ist auch unser Käfig, aus dem es kein Entkommen gibt. Die Grenzen meiner Sprache bedeuten die Grenzen meiner Welt. Sprache ist aber auch ein hartnäckiger Ausdruck eines Anspruchs nach Verständigung. Kommunikation ist dabei nicht per se auf Konsens ausgelegt, auch nicht auf Dissens. Kommunikation ist Differenz. Information wird durch einen Beobachter konstruiert. Die Bedeutungen eines Wortes oder eines bestimmten Verhaltens kann dadurch konstruiert und erfunden werden, wie dieses Wort in einem spezifischen Kontext verwendet wird. Das sind unsere täglichen Sprachspiele. Wir alle spielen Theater, und erhalten damit die Sicherheit der sozialen Rolle, denn wir sind auf die Liebe, die Meinung und die Reaktionen der anderen Menschen im System existentiell angewiesen, um überhaupt ein Selbstgefühl oder eine Vorstellung von sich zu bekommen. Wir wollen von anderen zwar anerkannt werden, können uns dieser aber nie sicher sein, da die anderen Menschen prinzipiell frei sind und uns jederzeit ablehnen können. Wir befinden uns in einem ständigen Kampf um Anerkennung. Unsere Identität hängt zutiefst von den Anderen ab. Das Aushalten der permanenten Nicht-Identität und des Nicht-Identischen, ist schwierig für uns, denn der Mensch strebt nach Versöhnung und Identität. Allen unseren psychischen und sozialen Prozessen ist ein Sinnzwang auferlegt. Es wird immer nur gesagt und getan, weil man es für sinnvoll erachtet. Wir geben allein schon durch den Gebrauch der Wörter ’sein‘ und ‚ist‘ den Dingen einen Sinn. Der Mensch ist, ohne eine vorgegebene Antwort auf das Woher, Wohin oder Wozu, zu haben. Wir sind geworfen, in-die-Welt-geworfen und uns selbst verantwortet. Nichts kann diese Freiheit einschränken. Und davor haben wir Angst. Die Freiheit des Menschen ist eine dreifache Verdammnis: 1. werden wir in die Existenz als Freiheit hineingeworfen, 2. müssen wir ständig Möglichkeiten auswählen und 3. sind wir verurteilt für diese Auswahl gerade zu stehen und die Schuld auf uns zu nehmen. Eine Flucht ist das Verfallen-sein an ein anonymes, bequem ‚Man‘ Leben.



Macht durch normierte Wahrheiten

Philosophie Posted on So, April 22, 2018 17:13:08

‚Macht‘ wirkt sich gestaltend aus: Wir sind der Macht durch normierte Wahrheiten unterworfen (Wahrheiten im Sinne konstruierter Ideen, denen Wahrheitsgehalt zugeschrieben wird), die unser Leben und unsere Beziehungen formen. Diese Wahrheiten werden wiederum durch die Anwendung von Macht hervorgebracht. So sind Macht und Wissen untrennbar verbunden. Macht kann nur im Einklang mit einem bestimmten System ‚wahrer‘ Überzeugungen ausgeübt werden. Wir unterliegen der Produktion von Wahrheit durch Macht und wir können Macht nur durch die Produktion von Wahrheit ausüben. Wir sind gezwungen, in einem Netzwerk von Macht/Wissen zu handeln; darin unterliegen wir den Auswirkungen der Macht und üben diese gleichzeitig im Hinblick auf andere aus.

Im Zeitalter einer immerwährenden Überprüfung und selbstverständlicher Objektivierung haben wir eine Gesellschaftsform der Normierung geschaffen, in der die Folter/Bestrafung früherer Souveräner Macht durch Bewertung ersetzt wurde. Diese Form der Macht etabliert sich zwischen den Zeilen durch Bewertungen darüber was normal, was recht und unrecht ist. Eine Unterwerfung unter die besagten ‚Wahrheiten‘ (Normen) führt in der Regel zu einem Gefühl des Unvermögens gegenüber diesen Erwartungen. Menschen werden zu ‚fügsamen Körpern‘.

Wie bei dem Machtmechanismus eines Panoptikon ist wesentlich, dass die Quelle der Macht unsichtbar bleibt. Ein Mensch der immer sichtbar ist und dies auch weiß, übernimmt Verantwortung für die Zwänge der Macht; er macht sich spontan zu ihrem Spielball; er beteiligt sich an den Machtverhältnissen, wobei er gleichzeitig beide Rollen, die des Mächtigen und die des von der Macht Betroffenen, übernimmt; er wird zum Prinzip seiner eigenen Unterwerfung. Wie im Panoptikon, ist es die Tatsache, immer gesehen zu werden bzw. die Möglichkeit, ständig gesehen werden zu können, die den disziplinierte einzelnen in seiner Unterwerfung hält. Es ist eine Maschinerie, in der alle eingefangen sind: diejenigen, die die Macht ausüben ebenso, wie diejenigen, die ihr unterworfen sind.

(frei zusammengestellt nach Michel Foucault und Michael White)



Kulturelle Prägung des Wesens der Menschen

Philosophie Posted on Mo, Mai 01, 2017 15:23:32

Die Vorstellung, dass Sie in Ihrem Wesen reine Freunde und vollkommener Friede sind, läuft allem zuwider, was Sie über sich gelernt haben. Es gibt in unserer Kultur verschiedene Aussagen zum Wesen der Menschen und keine ist besonders erhebend. Die offensichtlichste ist die Doktrin über die Erbsünde, die von einem großen Teil der westlichen Christenheit getragen wird. Wegen des Sündenfalls (Adam und Eva übertreten das göttliche Gebot) wurde die Menschheit verdammt in Sünde geboren zu werden und eine niedrige Veranlagung zu haben. Unsere Leidenschaften sind der Beweis unseres Lebens in Sünde. Wir müssen unsere leidenschaftlichen Gefühle und Impulse ständig unter Kontrolle halten und erinnern uns dadurch ein Leben lang an unsere grundsätzliche Sündhaftigkeit. Einen weiteren Einfluss hat Darwins Evolutionstheorie gehabt. Er postulierte, dass unsere selbstsüchtige Natur das Produkt unserer Gene sei, die uns dazu programmiert hätten, in einer feindlichen, von Wettbewerb geprägten Umwelt um unser Überleben zu kämpfen (’selbstsüchtige Gen‘). Dies hat sich auch in einigen Richtungen der Psychologie niedergeschlagen, die lehren, dass alles was wir tun, dazu dient, unser Vergnügen zu maximieren oder unseren Genpool zu erweitern (Freud’sche Psychoanalyse; Verhaltens- und Evolutionspsychologie). Die Entwicklungspsychologie, die Basis der Lerntheorien, die unser Erziehungssystem dominiert ist der Ansicht, dass wertvolle Eigenschaften, wie Moral, Einfühlungsvermögen und Respekt quasi von außen in uns hineingepumpt werden müssen, weil wir nichts in uns tragen, dass diesen Werten entspricht. All das lehrt uns nach außen zu schauen, um zu bekommen, was wir brauchen, statt es in uns selbst zu finden.

(nach IFS, Ein Weg zu mehr Selbstführung; Richard C. Schwartz)



Sein und Zeit

Philosophie Posted on So, Dezember 18, 2016 19:10:28

In dem Artikel “Das Sein und das Nichts“ hatte ich die Seinsphilosophie Heideggers als eine wichtige Grundlage für Sartre erwähnt. Was kann Heidegger uns außerdem noch mitgeben? Die zentrale Frage in seinem Werk “Sein und Zeit” lautete ‚Was ist der Sinn vom Sein?’ Vereinfacht: Der Mensch ist ein Lebewesen, dem es sich in seinem Leben um dieses selbst geht. In seiner phänomenologischen Betrachtungsweise (die er von Husserl übernommen hat) hat sich Heidegger unser Alltagsverständnis von Sinn angesehen (“Alltäglichkeit deckt sich nicht mit Primitivität. Alltäglichkeit ist vielmehr ein Seinsmodus des Daseins ..”).

Er stellt fest, dass, wenn die Menschen “ist” sagen oder “ist” denken, sie den Dingen und sich selbst bereits einen Sinn geben. Wir interpretierend die Welt in jeder Sekunde auf irgendeine Art und Weise.

Heidegger stellt dabei die These auf, dass die meisten Menschen den Sinn ihres Lebens verfehlen, da wir in der Regel nur das tun, was “man” gerade tut, was modern usw. Wir würden uns so sehr von fremden Interessen leiten lassen, dass wir oft nicht mehr Wir sind, sondern die Anderen. Ein “Verfallensein” an ein anonymes “Man”. Diese Lebensweise sei sehr bequem und deshalb weit verbreitet. Dennoch sei es eine Flucht. Obwohl der Sorgecharakter unseres Daseins verlangt, dass wir für uns selbst sorgen, überlassen wir uns im Modus des Verfallenseins die Ausgestaltung der Welt Anderen, der Mehrheitsmeinung, den allgemeinen Regeln und Konventionen und somit letztlich an “Allen und Niemandem”.

Es bedürfe in der Regel einer existentiellen Krise, in der die Man-Welt zusammenbricht und wir eine Chance bekommen uns zu befreien und eine Möglichkeit zu spüren, unser eigenes Selbstseinkönnen zu ergreifen. Eine solche Krise / Stimmung, ist die Stimmung der Angst, die uns unser ganzes bisheriges Leben in Frage stellen lässt, uns in unseren tiefsten Fundamenten erschüttert. Heidegger unterscheidet dabei im gleichen Sinn wie Sartre zwischen Angst (unbestimmt) und Furcht (bestimmt). Doch gerade diese Angst, eröffnet uns eine Chance uns selbst zu finden (“Freisein für die Freiheit des Sich-selbst-wählens und -ergreifens.”). Diese Angst, sei eine Art Lebensangst. Der Sorgencharakter des Daseins selbst wird dann zur Bedrohung. Aus dieser Stimmung der Angst (in einem Spätwerk ergänzt er, auch aus einer Stimmung der “Gelassenheit” heraus..) haben wir die Wahl wieder in die scheinbare Sicherheit des anonymen ‚man’ zurückzukehren, uns selbst zu finden oder radikal die Nicht-Übernahme des In-der-Welt-seins durch Suizid (‚äußerste Möglichkeit der Freiheit’). Wenn wir, angesichts des “Nichts” uns dafür entscheiden, leben zu wollen, erst dann, übernehmen wir Verantwortung für unser Leben uns unsere Entscheidungen. Außerdem empfiehlt uns Heidegger, der Gewissheit des Todes nicht einfach auszuweichen (zu verdrängen) sondern uns mit der Tatsache unseres Ablebens vertraut zu machen (siehe auch ‚Tod und Trauer‚).

Heutzutage würden wir Gefahr laufen, von einer rein technischen Wahrnehmung der Welt überrollt zu werden und dabei unsere Offenheit für den Sinn vom Sein zu verlieren. Wir sehen die Natur, die Welt und uns selbst nicht mehr unvoreingenommen, sondern nur noch unter dem Aspekt der Machbarkeit (Wie kann man das möglich machen? Wie können wir noch erfolgreicher und effizienter werden?). Diese Art nennt Heidegger ‚stellen’. Wir geben allem und jedem eine bestimmte Ausrichtung, mit der Gefahr, selbst unter das “Ge-stell” der Technik zu geraten und zu “Ge-stellten” zu werden, die dann ihre Welt und Mitmenschen nur noch funktional begreifen können. Das technisch-naturwissenschaftliche Denken (letztlich das Rechnen) hat sich als einzig anerkanntes Denken etabliert. Das berechnende Denken beherrscht nicht nur den Umgang mit der Natur, sondern auch den Umgang mit den Menschen. Nichts ist ohne Grund. Für alles und jedes muss es einen Grund geben. Jede Idee muss rational begründet werden. Alles muss berechenbar und nachvollziehbar sein. Wir wachsen auf mit dem Satz “Nichts ist ohne Grund.” (Nihil est sine ratione) . Heidegger empfiehlt eine Abkehr von diesem Denken, die sogenannte “Kehre” und ein besinnliches Denken, das wieder das Ganze in den Blick nimmt.



Das Sein und das Nichts

Philosophie Posted on Do, Dezember 15, 2016 12:15:18

Der nachfolgende Artikel resultiert aus meiner Auseinandersetzung mit Sartre, Das Sein und das Nichts. Ich möchte diesen als eigenständigen Artikel belassen, damit ich mich darauf in nachfolgenden Artikeln beziehen kann. Als einer der ersten Philosophen überhaupt erforschte Sartre die Struktur der zwischenmenschlichen Beziehungen.

Der Mensch (und auch unsere Klienten) stellt sich die Frage nach dem Sein. Der Existentialismus weißt dem Sein eine herausragende Rolle zu (gleichwohl wird der Sein-Begriff in der modernen analytischen Philosophie als sinnlos kritisiert). Sartre übernimmt Heideggers Konzeption, dass das Sein des Menschen, Dasein genannt, als ein “In-der-Welt-sein”, jedoch ist das Bewusstsein für ihn von zentraler Bedeutung. “In-der-Welt-sein” ist ein “Bewusstsein-davon-zu-haben, in-der-Welt-zu-sein”. Überhaupt übernimmt Sartre viel von Heidegger, was ihm auch den Vorwurf einbrachte, von Heideggers Hauptwerk “Sein und Zeit” abgeschrieben zu haben.

Weder Erbanlagen, noch die Umwelt, noch frühkindliche Erfahrungen bestimmen vollständig die Individualität, sondern des Menschen Autonomie des freien Entwurfes. Der Entwurf ist veränderlich. Die Stellung des Menschen in der Welt ist so, dass er selbst die Wahl treffen muss und deswegen diese Wahl widerrufen kann. Wenn die Wahl bewusst ist, so bedeutet das keineswegs, dass sie auch erkannt ist. Sartre unterscheidet zwei Grade des Bewusstseins: das präreflexive (das weder das Unbewusste im Sinne Freuds ist, noch die bewusste Erkenntnis im Sinne Descartes) und das reflexive Bewusstsein. Das präreflexive Bewusstsein kann am besten mit dem Wort Erlebnis beschrieben werden. Wille taucht erst auf der Ebene des reflexiven Bewusstseins auf. In der Einheit des Bewusstseins ist also eine fundamentale Differenzierung vorzunehmen: das Bewusstsein als Erlebnis und das Bewusstsein als Erkenntnis. Es ist ein Kennzeichen des Erlebnisses, unreflektiert zu sein. Das präreflexive Bewusstsein ist folgendermaßen gekennzeichnet: Es ist ein direktes, bedeutungsvolles und gestimmtes Bewusstsein von den Dingen und ein Bewusstsein (von) sich selbst in der Einheit eines Bewusstseins.

Nach Sartre sind Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft eine untrennbare Einheit und nicht wie in der Physik einfach eine Abfolge von Zeitpunkten mit Kausalbeziehungen. Besonders die Zukunft, auf die hin sich der Mensch entwirft. Der Mensch ist, ohne eine vorgegebene Antwort auf das Woher, Wohin oder Wozu zu haben. Er ist “geworfen” und sich selbst verantwortet. Die Zukunft ist kein bloßes Noch-nicht-sein, sondern der Mensch ist dieses Noch-nicht-sein. Unser Leben hat etwas prinzipiell Vorläufiges und Unvollendetes. In jeder Sekunde planen wir uns neu und bestimmen, in welche Richtung wir gehen wollen. Allein der Realismus wäre richtig, wenn es nur die Vergangenheit gäbe, wenn die Welt als reine Faktizität betrachtet werden könnte. Aber das Bewusstsein involviert auch die Zukunft, den Entwurf von Möglichkeiten und diese Entwürfe transzendieren die Welt. Aus diesem Grunde kann das Bewusstsein nicht als realer Teil der Welt betrachtet werden. Wir sind sogar gegenüber der Vergangenheit frei, denn ihr Sinn kommt ihr aus der Zukunft zu. Auch wenn historische Ereignisse längest vorbei sind, wird die Geschichte ständig neu geschrieben.

Der Umgang des Menschen mit den Dingen seiner Umwelt ist ein verstehender und gestimmter Umgang. Es ist nicht so, dass für den Menschen zuerst ein bloßes Ding vorhanden wäre, sondern das Ding trägt von Anfang an Bedeutungen und ist schon immer in den verstehenden Umgang der Menschen eingegliedert.

Der Mensch ist im Kern seines Seins Freiheit, denn er ist Mangel an Identität. Wegen dieses Mangels muss er seine eigene Identität entwerfen, ohne dass er diesen Entwurf rechtfertigen oder begründen könnte (“Das Leben hat a priori keinen Sinn. Bevor Sie leben, ist das Leben nichts, es ist an Ihnen ihm einen Sinn zu geben.”). Er ist also zur Freiheit verurteilt, weil er nicht anders sein kann, als ein Entwurf von sich selbst zu sein. Der Mensch ist grundlegende Begierde, Gott zu sein (in dem Sinn ein Selbstentwurf in Identität, Reinheit und Permanenz zu sein). An der Quelle des Bewusstseins liegt die Freiheit. Man könnte bis zu einem gewissen Grad sagen, dass die Quelle des Bewusstseins die Freiheit ist. Da wir faktisch frei sind, sind wir auch schuldig. Schuldig nicht in einem moralischen Sinn, aber jedes Ergreifen von Möglichkeiten bedeutet auch den Verzicht auf andere Möglichkeiten. Wir können zwar wählen nicht zu wählen, aber auch damit haben wir eine Wahl getroffen. Da wir zu jedem Zeitpunkt die volle Verantwortung für unsere Ziele haben, haben wir eine Schuld uns selbst gegenüber. Jeder ist für sein Leben, d.h. was er daraus unter den gegebenen Umständen macht, selbst verantwortlich. Ein herausreden auf determinierende Fakten (z.B. Anlagen, Umstände, Milieu, Zufälle) ist reine Unaufrichtigkeit (“mauvaise foi”). Die Freiheit des Menschen ist eine dreifache Verdammnis: 1. werden wir in die Existenz als Freiheit hineingeworfen, 2. müssen wir ständig Möglichkeiten auswählen und 3. sind wir verurteilt für diese Auswahl gerade zu stehen und die Schuld auf uns zu nehmen.

Ein anderer Mensch tritt in mein Zimmer. Ich erlebe, wie dieser Mensch seine Welt organisiert, in dem er mich registriert. Ich erfasse intuitiv, dass der Andere einen Aspekt meines Seins erlebt, der mir entgeht. Er erfasst mein äußeres Sein, das ich nicht erfassen kann. Das ist das “Mitten-in-der-Welt-sein”. Der Andere trägt mein äußeres Sein. Er wird mein “Für-mich-sein” mit gewissen Qualitäten versehen, mich irgendwie objektivieren und mich zu einem “An-sich-sein” erstarren lassen. Ich erlebe den Blick des Anderen. Ich empfinde Unbehagen. Alles in mir sträubt sich gegen seine Zuweisung. Ich bin und will mehr sein. Wenn ich mich erkannt fühle, schäme ich mich. In meiner Scham offenbart sich der Vorgang des Wiedererkennens des eigenen Selbst im Blick des Andren. Meine Beziehung zum anderen ist prekär. Er trägt mein äußeres Sein und er kann mir als Spiegel dienen. Insofern ist er notwendig für meine eigene Identitätsfindung. Das Urteil des Anderen dient mir als Spiegel. Dessen Urteil ist hingegen frei, so dass mein Spiegelbild niemals gesichert ist. So ist meine Lage hinsichtlich des Anderen permanent gefährdet (“Die Hölle, das sind die Anderen”). In anderen Worten, die Menschen sind auf die Liebe, die Meinung und die Reaktionen der anderen Menschen existentiell angewiesen, um überhaupt ein Selbstgefühl oder eine Vorstellung von sich zu bekommen. Wir wollen von anderen zwar anerkannt werden, können uns dieser aber nie sicher sein, da die anderen Menschen prinzipiell frei sind und uns jederzeit ablehnen können. Wir befinden uns in einem ständigen Kampf um Anerkennung. Unsere Identität hängt zutiefst von den Anderen ab.

Das menschliche Sein findet keineswegs mit dem Tod ein Ende. Vielmehr erstarrt mit dem Tode mein Sein zu einem bloßen Sein-für-Andere. Der Andere trägt nun mein Sein als Ganzheit; er kann mich beurteilen und bewerten. Für ihn bin ich ein Objekt mit Identität.

Das “An-sich-sein” steht für die Kategorie der Identität. Das Sein des Subjektes ist im “An-sich-sein” fundiert und nicht umgekehrt. Ich bin intuitiv sicher, dass das Ding ist, unabhängig davon, ob ich es wahrnehme oder nicht. Weil wir eine Intuition von diesem “An-sich-sein” der Dinge haben, ist das “An-sich-sein” des Dinges im Ding-Phänomen stets anwesend. Das “An-sich-sein” ist transphänomenal, obwohl es die stets anwesende Grundlage der Phänomene ist. Das Bewusstsein eines Subjektes würde ins Nichts stürzen, wenn es nicht im “An-sich-sein” der Dinge seine Stütze fände. Das Bewusstsein wäre ohne das Sein der Dinge ohne Stütze im Sein.

Das Nichts ist keineswegs nur ein leerer Begriff, sondern für die Menschen von existentieller Wichtigkeit. Es gibt nichts, dass unsere Freiheit einschränken kann und deshalb gibt es auch nichts, was uns hilft unser Leben zu bewältigen. Am Ende sogar nichts, das uns sagt, warum wir überhaupt Leben sollen. Die Entscheidung für das Leben muss daher immer wieder neu getroffen werden. Das Nichts offenbart sich uns in der Stimmung der Angst. Dabei ist der Begriff der Furcht von dem der Angst zu trennen. Während Furcht sich auf etwas Konkretes bezieht, hat Angst keinen konkreten Gegenstand. Im Kern ist es die Angst, dass der Mensch das Leben nicht mehr bewältigen kann (“Wir sind Angst.”). Im Alltag sind viele Entscheidungen routiniert, so dass wir uns der Dimension des Nichts gar nicht bewusst werden.

Ein faszinierendes Problem ist die Möglichkeit des Menschen sich selbst anzulügen (siehe auch Unsere Lügen – Lehrbeispiele unserer System-Konstruktionen). Die Lüge besteht ja darin, dass der Lügner die Wahrheit kennt und sie dennoch entstellt. Wie kann es dann möglich sein, dass Lügner und Belogener eine Person sind? Phänomene wie “logische Fehlschlüsse” und “Selbsttäuschungen” können nicht einfach deshalb ignoriert werden, wie sie im Sinne der Analytischen Logik unsinnig sind. Menschen leben mit Widersprüchen, wobei die einzelnen Konzepte als auch deren Widersprüchlichkeit durchaus bewusst sind. Dennoch wird der Widerspruch nicht realisiert. Es kommt nicht zu einer Synthese von Widersprüchen im Sinne einer korrekten Koordinierung (Unaufrichtigkeit als eine unkorrekte Koordinierung von Faktizität und Transzendenz).

Überwiegend frei zusammengestellt aus Alfred Dandyk, “Unaufrichtigkeit – Die existentielle Psychoanalyse Sartres im Kontext der Philosophiegeschichte“)



Unsere Lügen – Lehrbeispiele unserer System-Konstruktionen

Philosophie Posted on Mo, Dezember 05, 2016 23:11:18

Bei meiner Recherche zum Thema Lügen in einer philosophischen Betrachtung (motiviert durch die Beschäftigung mit Unaufrichtigkeit / Sartre) hatte ich viel weniger Literatur gefunden als erwartet. Ist das Thema Lügen etwas mit dem wir uns nicht gerne auseinandersetzen? Dabei lügen wir doch fast jeden Tag und werden jeden Tag angelogen.

In einer Gesellschaft nimmt das Thema Lügen einen ganz besonderen Platz ein. Eine Gesellschaft in deren Mitglieder nicht Lage wären, wahre von lügnerischen Botschaften zu unterscheiden würde zusammenbrechen. Niemand könnte sich zu irgendeinem Zeitpunkt auf irgendeine Botschaft verlassen ohne unabhängige Bestätigungen (und selbst dann können auch diese falsch sein, wenn wir es nicht selbst beobachtet haben).

Was ist eine Lüge überhaupt? Ist es eine Lüge, wenn wir etwas behaupten was nicht die Wahrheit ist und wir es nicht besser wissen? Unabhängig davon, dass es die eine, letzte Wahrheit gar nicht gibt, sondern wir eher die Wahrheit meinen, die in unserem sozialen System gemäß seinen Regeln als Wahrheitskonstruktion anerkannt wird. Ich meine Lügen in der Definition, dass wir vorsätzlich eine trügerische Botschaft ausdrücken.

Ist eine Lüge oder Täuschung bereits Gewalt? Lügen vergrößern die Macht des Lügners und Schwächen die des Angelogenen. Ferner verschleiern und vertuschen wir die Lüge und trachten danach den Eindruck der Normalität zu erwecken, um unsere Lüge glaubhafter zu machen. Mit denjenigen, die sie täuschen, teilen Lügende den Wunsch, nicht getäuscht zu werden. Sie wurden das Lügen (die Macht) gerne für sich reservieren. Sollten wir aus ethischer Sicht nicht immer die Auswirkungen von Lügen auf alle Betroffenen betrachten? Sollten wir nicht möglichst immer im Vorfeld Nutzen und Schaden öffentlich abwägen?

Lügen ist durch alle Zeiten hinweg gefeiert worden – wenn es “heldenhaft” zur Täuschung von Feinden oder zur Eroberung eingesetzt wurde.

Drei Hauptstrategien das Verbot von Lügen (vgl. Augustinus, Enchiridon) zu umgehen sind 1. die Einstufung als verzeihliche Lügen (vgl. Strukturmuster von Thomas von Aquin), 2. das Abstreiten von Unwahrheiten (nur vom Hörer falsch interpretiert; z.B. auch die sog. Mentalreservation bei der man zwar etwas Irreführendes sagt, aber in Gedanken eine Einschränkung hinzufügt um die Aussage wahr zu machen), und die Behauptung, dass diese Unwahrheiten als Lügen eingestuft werden dürfen.

Im Gegensatz dazu gibt es die Extremposition, alle Formen von Lügen zu verbieten (vgl. Kant, Kategorischer Imperativ “Handle so, dass die Maxime deines Willens jederzeit zugleich als Prinzip einer allgemeinen Gesetzgebung gelten könne.”). Doch auch Kant war von seiner Position tief von seinem Glauben beeinflusst, wie die meisten Beweise von Moralisten für eine Rechtmäßigkeit letztlich auf religiösen Überzeugungen beruhen. Letztlich sind zwei Überzeugungen dominant: dass Gott Lügen verbietet und dass er die bestrafen wird, die lügen. Selbstverständlich können diese Glaubenssätze weder bewiesen noch widerlegt werden. Gewissensprobleme können nicht in einem moralischen Vakuum untersucht werden.

Im Utilitarismus verfährt man so, als sei eine Lüge und eine wahrheitsgemäße Aussage, solange sie den gleichen Nutzen erbringt, gleichwertig. Eine solche Risiko-Nutzen Kalkulation wird gerne von denen akzeptiert, die ihre eigenen Interessen begünstigen wollen und die Folgen für andere niedrig einschätzen.

Welche Kategorien von Lügen sind verbreitet? Zunächst einmal die kleinen Alltagslügen, die in dem Sinn harmlos sind, als das niemand verletzt werden soll und die Lüge nur vergleichsweise wenig moralisches Gewicht hat. “Wie nett Sie zu sehen.” “Mit freundlichen Grüßen” etc. – Höflichkeitsfloskeln, die man eigentlich so nicht meint, die aber üblich und akzeptiert sind. Oder man sagt, man könne etwas nicht tun, meint in Wirklichkeit aber man will es nicht tun (man möchte die Gefühle des anderen nicht verletzen). Der Einsatz von Placebos in der Medizin ist eine vermeintlich harmlose Form von Lüge. Etwas zu übertreiben oder abzuschwächen, weil man nicht die Zeit und Lust hat, Details zu diskutieren, ist eine schnelle Gelegenheitslüge. Unangenehme Fakten werden gezuckert, traurige Nachrichten abgemildert oder verschwiegen, täuschende Propaganda und irreführende Werbung in Hülle und Fülle, ein Loblied in einer Empfehlung über einen Kollegen, dem man einen Gefallen tun will, etc. etc.

Gibt es Umstände die das Lügen entschuldigen? Überhaupt scheint das Thema Ent-Schulden im Sinne von, die Schuld einer Lüge abzugeben, ein wichtiges Thema zu sein. Einfach, scheint nur das Thema Lügen zur direkten Selbstverteidigung, als Mittel zum Überleben, zu sein. Was für Entschuldigungen für Lügen gibt es sonst noch? Zunächst kann man die Schuldhaftigkeit grundsätzlich abstreiten, man kann auch die Verantwortung für die Schuld ablehnen, oder man kann gute Gründe anführen, warum man in Wirklichkeit keine Schuld trage. Bei dem letztgenannten Punkt werden häufig die folgenden Strategien verwendet: man wollte Schaden vermeiden, man tue Gutes, es sei nur gerecht oder es sei wahrhaft.

Auch die Berufung auf die Pflicht zur Verschwiegenheit (Pfarrer, Rechtsanwalt, Arzt..) ist eine weiteres Feld von Entschuldigungen. Oder eine Loyalität, die Kollegen Schutz gewährt (Politiker, Ärzte, Polizisten, Anwälte etc.), da man implizit zur Verschwiegenheit verpflichtet ist. Was verleiht solchen Versprechen eine solche Macht? Die Gehorsamkeitsexperimente von Stanley Milgram 1963 in Yale zeigen eine Verpflichtung zu einer vermeintlichen Obrigkeit, die Menschen dazu brachten, anderen (vermeintlich) lebensgefährliche Elektroschocks zu verabreichen. Interessanterweise fachten diese Experimente auch Diskussionen an, ob es richtig sei zum Wohle der Forschung Menschen zu belügen (obgleich Täuschungen in der Medizin eine lange Tradition haben).

Auch die Art der Beziehung zwischen Lügner und Belogenen spielt eine Rolle bei der Entschuldigung von Lügen (Freunde, neutral, Feinde). So sind Lügen bei Feinden leicht entschuldbar (da “exterritorial”, außerhalb des Geltungsbereiches der eigenen Gesellschaft), bei Freunden können sie umso schwerer ins Gewicht fallen.

Die Mächtigen lügen, weil sie glauben, dass sie besser als andere wüssten worum es geht. Ohnehin seien die anderen nur begrenzt (oder gar nicht) urteilsfähig. Öffentliche Amtsträger reagieren dabei gerne ungehalten auf den Versuch, die Ethik solcher Täuschungspraktiken in Frage zu stellen.

Lügen gegenüber Kindern oder anderen Abhängigen, zu deren Wohl sind paternalistische Lügen. Dabei wird gelogen, damit andere sich konform verhalten und ihr Verhalten anpassen. Lügen zum Schutz dieser Bindungen gelten als besonders angemessen und selbstverständlich.

Doch die Angelogenen sind über die “guten Gründe” häufig nicht begeistert. Zum Teil liegt das daran, dass sie keine Möglichkeit haben zu erkennen, ob das, was man ihnen sagt, nun wahr ist oder nicht; zum Teil auch daran, dass sie aus ihrer eigenen Erfahrung als Lügner wissen, wie leicht es ist zu lügen und wie einfach überzeugende Gründe zu finden. Interessant ist auch ein Szenario der gegenseitigen Täuschung, bei der jeder weiß, der der andere lügt, man jedoch vorzieht betrogen zu werden, statt der ungeschminkten Wahrheit ins Gesicht zu sehen. Z.B. bei Freundschaften oder in der Familie, wo die (Lügen)Form gewahrt wird um Illusionen zu bewahren oder unangenehme Erfahrungen zu unterdrücken. Andere Beispiele sind der Umgang mit chronisch Kranken oder Sterbenden, die wir mit “es wird schon” trösten, oder bei Verhandlungen im Geschäftsleben das Manipulieren von Zahlen. Machiavelli gestattete zum Beispiel auch das Lügen auf Grund von vorgreifenden Überlegungen. Die Voraussage oder Annahme von künftigen Wortbrüchen der anderen ist als Grund bereits hinreichend. Anders als Mark Twain, der empfiehlt “Bist du im Zweifel, dann sagt die Wahrheit. Das wird deine Feinde verwirren und deine Freunde erstaunen.”

Lügen sind wie Wahrheiten sozial konstruierte Phänomene und meines Erachtens ein hervorragendes Lehrstück um die verstecken Regeln in Systemen zu verstehen. Lasst uns mehr auf unsere großen und kleinen Lügen im Leben schauen und auch Klienten nach den Lügen in ihrem Leben fragen. Die Antworten könnten ganz interessante neue Perspektiven zu Tage fördern.

(Inhalt zum Teil zusammengestellt aus “Lying: Moral Choice in Public and Privat Life” von Sissela Bok; siehe auch DVD „Experimenter – Die Stanley Milgram Story“)



Unaufrichtigkeit – eine typische Fixierung?

Philosophie Posted on Fr, November 25, 2016 20:22:36

Das Bewusstsein der Freiheit, so Sartre, und die damit verbundene Beliebigkeit und Ungesichertheit sind für den Menschen eine Quelle latenter Angst (siehe auch Das Sein und das Nichts). Um ihr zu entkommen, versucht er sich davon zu überzeugen, dass er in Wahrheit ein Ding sei, d.h. ein festgelegtes, determiniertes Wesen. Das So-geworden-Sein, die eigene biologische Natur, der Charakter, die biographische Vergangenheit, aber auch äußere Umstände, Anforderungen und Sachzwänge – all dies wird mobilisiert, um die eigene Situation als festgelegt zu erweisen und die Verleugnung der Freiheit zu rechtfertigen. Die Flucht in die Selbstverdinglichung und vermeintliche Determiniertheit ist der primäre Abwehrmechanismus des Menschen, der von seinem Dasein überfordert ist. Und diese Überforderung gilt in besonderem Maß für das Individuum der Postmoderne, das sich dem ständigen Druck zur Selbsterschaffung und zur Konstruktion seines eigenen Lebens ausgesetzt sieht. Allerdings bedeutet die Flucht aus der Verantwortlichkeit, so schließt Sartre, im Grunde eine Unaufrichtigkeit sich selbst gegenüber. Denn am Ende vermag sie doch nichts gegen die Evidenz der Freiheit, mit der wir fortwährend konfrontiert sind, ob wir wollen oder nicht.

Ist dann nicht die Unaufrichtigkeit eine typische Fixierung und eine unserer Wachstumsbremsen?



Wie wir uns Denkbilder anfertigen

Philosophie Posted on Sa, Juni 25, 2016 00:10:48

DENK-BILD-VER-TIK
..oder wie wir uns Denkbilder anfertigen. Eine eigene vierteilige Kollage aus Tractatus logicophilosophicus von Ludwig Wittgenstein. Ein Philosoph, der im Vorwort besagten Buches erklärte, er wolle mit diesem Werk dem Ausdruck der Gedanken eine Grenze ziehen.

DENKgrenzen
Sachlagen kann man nur beschreiben, nicht benennen. (3.144) “Ein Sachverhalt ist denkbar” heißt, wir können uns ein Bild von ihm machen. (3.001) Der Gedanke enthält die Möglichkeit der Sachlage, die er denkt. Was denkbar ist, ist auch möglich. (3.02) Was sich beschreiben lässt, das kann auch geschehen.. (6.362) Wir können nichts Unlogisches denken, weil wir sonst unlogisch denken müssten. (3.03) Der Gedanke ist der sinnvolle Satz. (4) Die Gesamtheit der Sätze ist die Sprache. (4.001) Die Grenzen meiner Sprache bedeuten die Grenzen meiner Welt. (5.6) Zu einer Antwort, die man nicht aussprechen kann, kann man auch die Frage nicht aussprechen. (6.5) Die Welt des Glücklichen ist eine andere als die Welt des Unglücklichen. (6.43) Die Welt und das Leben sind Eins. (5.621)

Tatsachen-BILDung
Wir machen uns ein Bild der Tatsachen. (2.1) Das Bild ist ein Modell der Wirklichkeit. (2.12) Das Bild stellt dar, was es darstellt, unabhängig von seiner Wahr- oder Falschheit.. (2.22) Was das Bild darstellt ist sein Sinn. (2.221) Das Bild ist eine Tatsache. (2.141) Die Tatsachen gehören alle nur zur Aufgabe, nicht zur Lösung. (6.4321)

VERtreter
Der Name vertritt im Satz den Gegenstand. (3.22) Die Gegenstände kann ich nur nennen. Zeichen vertreten sie. Ich kann nur von ihnen sprechen, sie aussprechen kann ich nicht. Ein Satz kann nur sagen wie ein Ding ist, nicht was es ist. (3.221) In der Umgangssprache kommt es ungemein häufig vor, dass dasselbe Wort auf verschiedene Art und Weise bezeichnet .. (3.323) So entstehen leicht die fundamentalsten Verwechselungen.. (3.324) Nur der Satz hat Sinn; nur im Zusammenhang des Satzes hat ein Name Bedeutung. (3.3) Der Satz ist ein Bild der Wirklichkeit. Der Satz ist ein Modell der Wirklichkeit, so wie wir uns sie denken. (4.01)

KriTIK
Dass die Sonne morgen aufgehen wird ist eine Hypothese, und das heißt: Wir wissen nicht ob sie aufgehen wird. (6.36311) Der ganzen modernen Weltanschauung liegt die Täuschung zu Grunde, dass die sogenannten Naturgesetzte die Erklärungen der Naturerscheinungen seien. (6.371) Die Ereignisse der Zukunft können wir uns nicht aus den gegenwärtigen erschließen. (5.1361) .. Hat die Frage Sinn, was muss sein, damit etwas der Fall-sein kann? (5.5542) Alle Philosophie ist “Sprachkritik”. (4.0031)