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ACT – Akzeptanz- und Commitmenttherapie: Mehr Lebensqualität durch psychische Flexibilität

Psychologie, Sprachkritik, Therapie Posted on Mo, April 05, 2021 14:25:31

In unserer westlichen Zivilisation haben wir die Erwartungshaltung entwickelt, frei von Leiden zu sein. Wir nehmen eine „gesunde Normalität“ zum Maß der Dinge, beruhend auf der Annahme, dass ein Mensch im „natürlichen Gleichgewicht“ automatisch gesund und glücklich ist. Selbst, wenn wir alles haben, alles besitzen, uns es gut gehen sollte, kann es sein, dass es uns nicht genügt. Nichts, was von außen kommt, sichert uns letztlich eine Freiheit vom Leiden.

Wir definieren Gesundheit als Fehlen von Krankheit (gemessen und definiert an einer bestimmten Anzahl und Symptomen, die wir als Abweichung vom Normalen definiert haben). Unsere moderne Medizin hat uns überzeugt, dass Heilung die Ursache von Gesundheit ist. Wir blenden dabei aus, dass Gesundheit mehr als die bloße Abwesenheit von Krankheit sein kann. Über Jahre und Jahrzehnte haben wir die Tendenz, immer mehr Abweichungen vom „Normalen“ zu definieren und so immer mehr Störungen festzustellen. Wir pathologisieren dabei wahrscheinlich zunehmend „normale Lebensprozesse“ wie Kummer, Trauer oder Furcht. Dennoch scheint der Ansatz der letzten Jahrzehnte selten zu mehr Glück und Lebensqualität zu führen. Alle Menschen „leiden“. Es ist geradezu normal „abnormal“ zu sein. Allerdings Leiden manche Menschen mehr als andere. Manche Menschen können, selbst unter ähnlich widrigen Umständen, sich anpassen, sind resilienter und haben mehr Qualität im Leben als andere.

Das, was uns als Menschen so besonders macht, die Quelle unseres Fortschritts, unsere Fähigkeit zu kategorisieren, zu bewerten, zu urteilen, Situationen bewusst einzuschätzen, Vergleiche mit anderen Situationen anzustellen, Beziehungen zwischen vergangenen und gegenwärtigen Situationen vorherzusagen ist unser Denken. Denken ist nichts anderes als zu sich zu sprechen. Menschlicher Fortschritt war so immer auch mit der Entwicklung unserer Sprache verbunden. Leider schaffen die gleichen Funktionen, die uns so besonders machen auch eine Grundlage für das Potential Stress, selbst bei Abwesenheit unmittelbarer Reizauslöser, zu empfinden. Das menschliche Leiden besteht hauptsächlich aus einer Fehlanwendung ansonsten positiver psychischer Problemlösungsprozesse. Um diese Fehlanwendungen zu vermindern und die Qualität in unserem Leben zu verbessern, müssen wir lernen unsere Sprache und unser Denken zu gebrauchen, ohne von ihr vereinnahmt zu werden. So, wie ein Hammer auch nicht für alles taugt, ist auch unsere Alltagssprache nicht für alle Zwecke geeignet. Leiden entsteht insbesondere dann, wenn Menschen so stark an den wörtlichen Inhalt ihrer Gedanken glauben, dass sie mit ihren Kognitionen vollständig oder überwiegend eins werden (verschmelzen, ‚become fused‘). Im Zustand dieser Fusion wird der Wunsch den „richtigen“ Gefühlszustand zu erreichen dominant und Ziel eines ständigen Kampfes.

Ziel sollte es stattdessen sein, diese Menschen von solchen Gedanken zu „entflechten“, ihnen wieder die Unterscheidungsfähigkeit beizubringen, um ihnen ein „besseres“ Leben zu ermöglichen. Der Ansatz von ACT (Akzeptanz- und Commitmenttherapie, oder auch „Accept, Choose and Take action“) ist weniger sich „gut zu fühlen“, als darin „gut zu fühlen“, denn es ist durchaus gesund auch unangenehme Gedanken und Gefühle zu haben. Wir alle haben eine natürliche Tendenz unangenehmen Dingen auszuweichen, negative Erlebnisse zu vermeiden. Dabei wird in unserer sozialen Gemeinschaft die Tendenz zur Erlebnisvermeidung oft verstärkt. Wir bewerten häufig (z.B. Kinder) positiver, wenn sie die Fähigkeit zeigen, negative (aversive) emotionale Zustände besser zu kontrollieren und zu beherrschen, d.h. nicht nach außen zu zeigen. Gefühle, Emotionen und auch viele Gedanken lassen sich aber nicht willentlich kontrollieren und je mehr wir dies direkt versuchen, desto stärker werden sie. Unsere emotionalen Reaktionen sind Echos unserer eigenen Geschichte. Einmal gemachte Erfahrungen können aber nicht aus unserem Gehirn gelöscht werden. Um unerwünschte emotionale Reaktionen sicher zu vermeiden, müssen wir so unser Leben verfälschen, dass wir den Kontakt mit unserer Lebensgeschichte verlieren. Eine zu häufige Erlebnisvermeidung führt oft zu einem Mangel an positiven Emotionen (weniger empfundenes Glück). Um solche, nicht hilfreichen, Folgen zu vermeiden, brauchen wir die Bereitschaft den Kontakt mit unseren Erlebnissen zu ermöglichen und aufrechtzuerhalten und zusätzlich die psychische Akzeptanz einer offenen und nicht bewertenden Haltung. Akzeptanz ist dann nicht Resignation oder ein Hinnehmen, sondern ein aktiver Prozess. Diese (neue) Haltung muss erst einmal erlernt werden, denn sie kann nicht durch einfache Instruktionen erzwungen werden. Bei der Gestaltung des Lebens sind (persönliche) Werte nützlich, denn sie helfen zwischen Alternativen zu wählen. Handlungen zur Erreichung von Zielen im Leben sollten deshalb besser wertegeleitet sein. Das erfordert ein Bewusstsein der eigenen Werte als Basis für ein engagiertes Handeln.



Dekonstruktion zum Aufzeigen neuer Perspektiven im Coaching?

Sprachkritik Posted on Fr, November 25, 2016 19:45:12

Im Poststrukturalismus wird die Beziehung von Zeichen und Bezeichnetem wird nicht als starr, willkürlich und die der Zeichen zueinander nicht absolut distinkt aufgefasst. Sprache ist mehrdeutig und offen, weil die sprachlichen Zeichen sich nicht in ihrer konkreten Bezeichnungsfunktion erschöpfen, sondern miteinander kommunizieren und ein Gewebe bilden. Die sprachlichen Zeichen führen ein Eigenleben, sie sind mehr, als der Sprecher/Schreiber intendiert, sie streuen, hinterlassen Spuren und entziehen sich vollständiger Kontrollierbarkeit.

Einige dekonstruktivistische Grundaussagen in der Literaturtheorie sind:
– Kritik soll Spannungen und Widersprüche im Text verdeutlichen.
– Ziel ist es, der Gegenläufigkeit von Inhalt und Form nachzugehen.
– Es geht nicht um eine abschließende Deutung, sondern um die Erkundung von
Deutungsmöglichkeiten.
– Es geht nicht um die Botschaft eines Textes, sondern darum, was der Text tut, wie es zu Bedeutungen kommt.
– Jeder Text trägt die Spuren vieler anderer Texte in sich.

Hauptvertreter in der Wissenschaft waren der französische Philosoph
Jacques Derrida, der französische Philosoph und Historiker Michel Foucault,
der französische Psychoanalytiker Jacques Lacan, der amerikanische Literaturwissenschaftler Paul de Man.

Jacques Derridas nennt seine Methode Dekonstruktion.

Eine Irritation bezüglich erfolgter Sinnzuweisungen kann z. B. durch folgende Operationen initiiert werden:
– Ambiguität von Wörtern erarbeiten
– Ersatzproben oder Wortfeldübungen
– Umstellproben
– Widersprüche aufzeigen
– Fragen an den Text stellen
– Diskursanalyse: genealogisches Verfahren, das die Bezüge eines Textes mit anderen Texten und Diskursen offenlegt. Kulturelle, politische, soziale, institutionelle Hintergründe für Interpretationen werden aufgedeckt.
– Textnahes, verzögertes Lesen
– Handlungs-und produktionsorientierte Verfahren

Können wir diese Techniken auch im Coaching z.B. zur Dekonstruktion von einschränkenden Glaubenssätzen verwenden? Zweifel wecken, Irritationen auslösen und neue Perspektiven für den Klienten aufzeigen?



Bedeutung und Sinn von Namen / Bezeichnungen

Sprachkritik Posted on Mo, November 21, 2016 14:49:03

Nach Bertrand Russel ist die Referenz eines Ausdrucks seine Bedeutung. Gottlob Freges Rätsel legt nahe, dass die Bedeutung eines Names nicht allein in seiner Referenz, sondern auch seinem Sinn liegt, wobei Sinn die bestimmte Gegebenheitsweise ist, durch die es ein Individuum es herausgegriffen hat. Logiker wie Saul Kripke meinen, dass Namen überhaupt keinen Sinn haben, sondern die Referenz eines Namens durch eine Kette bestimmt wird, deren Verwendung seit der ersten Benennung festgelegt wird.

In jedem Fall können wir nicht a priori von einer bestimmten Bedeutung oder Sinn ausgehen, sondern müssen immer die individuelle Bedeutung oder Sinnbesetzung unseres Klienten in Erfahrung bringen.



Du musst / Ich muss

Sprachkritik Posted on Sa, Juli 02, 2016 16:46:08

‚Du musst‘

Was jetzt? Jetzt haben Sie gar keine Wahl mehr – Sie müssen. Und Sie müssen etwas, was Sie bisher nur unzureichend geschafft haben.

Wenn ich mir selber einen solchen Rat gebe, dann fühle ich mich immer sogleich unter Druck – zum einen weiß ich, was ich tun müsste, zum anderen weiß ich, dass ich es bisher nicht geschafft habe, und zum dritten erlebe ich dann immer und immer wieder, dass ich genau merke, dass ich meinem eigenen guten Rat nicht folge. Anders gesagt – sobald ich mich mit ‚Ich muss‘ auffordere, fällt mir auf, wann ich genau dies ‚wieder nicht‘ geschafft habe (Problemtrance). Und ein Nebeneffekt, der bei mir auftritt: Ich mache mir Vorwürfe, gebe mir die Schuld, halte mich für unfähig. Mit anderen Worten: Ich mache mich selbst klein. Und wenn ich schon klein bin, weil es mir nicht so gut geht, dann mache ich mich auf genau diese Art noch kleiner, noch hilfloser, noch unfertiger, und es geht mit einfach noch schlechter.

Und meist schaffen solche Muss-Vorschriften noch etwas – sie schaffen es oft, dass Sie mit sich selbst viel härter umspringen, sich selbst gegenüber viel unnachsichtiger werden, weil Sie doch eigentlich das andere machen müssten. Diese Gespräche, die wir mit uns selbst führen, werden dann viel fordernder und immer weniger wertschätzend uns selbst gegenüber.

Was mich an diesen gut gemeinten Ratschlägen tatsächlich an Schläge erinnert, sind genau diese vorwurfsvollen Teufelskreise, die dadurch in Gang gesetzt werden können. Sage ich ‚Ich muss‘, dann habe ich keine Wahl.

Deshalb rate ich in solchen Situationen davon ab, ‚zu müssen‘, sondern ermuntere ‚zu können‘. Warum ‚müssen‘, wenn ‚können‘ auch reichen könnte? Und vor allem – ‚Will ich?‘. Ich kann, ich kann sogar müssen, aber ich muss nicht müssen.

(Jürgen Hargens, aus ‚Bitte nicht helfen! Es ist auch so schon schwer genug‘)

Lesen Sie mehr über unsere Verwendung des Wortes ‚eigentlich‚ ..



Eigentlich

Sprachkritik Posted on Sa, Juli 02, 2016 16:27:21

‚Wie geht’s?
Danke. Eigentlich, sehr gut.‚

Was, bitte schön, heißt das? Geht’s nun gut oder nicht? Eigentlich ja, lautet die Antwort, und dass, so verstehe ich, stellt allzu oft nur eine Umschreibung für ’schlecht‘ dar.

Eigentlich ist es für mich der Versuch, mich selbst ein wenig zu behumpsen, mir selbst nicht in die Augen zu sehen, obwohl ich im Grunde weiß, dass ich es anderes sehe.

Und genau deshalb, denke ich, kann das Wörtchen ‚eigentlich‘ so einen verheerenden Einfluss ausüben – es könnte mich dazu ermuntern, mir selbst etwas vorzumachen, so zu tun, als ob, denn .. eigentlich ..

(Jürgen Hargens, aus ‚Bitte nicht helfen! Es ist auch so schon schwer genug‘)