Ich möchte das Bild der Systemischen Therapie mit Hilfe des Buches ‚Systemische Therapie in der Praxis‘ (Hrsg. von Sydow / Borst) etwas ergänzen. Nach einem Kapitel ‚Grundlagen‘ über Erstgespräch, Auftrags- und Zielklärung, Diagnostik, Indikationen/Kontraindikationen und Qualitätssicherung, werden kurz systemische Basisinterventionen beschrieben: Ressourcenaktivierung / Umdeutung, Genogrammarbeit, Systemisches Fragen, Skulptur/Aufstellung, Psychoedukation, Hausaufgaben, Zeitlinienarbeit, Rituale, Reflektieren, Arbeit mit inneren Anteilen, Mentalisieren, Externalisierung von Problemen, Internalisierung von Lösungen. Es werden verschiedene Settings (Einzel, Paar, Familie, Gruppen) erläutert und folgende störungsspezifische Therapie Empfehlungen für Erwachsene gegeben:

F2 Schizophrenie, schizotype und wahnhafte Störungen

Allgemeines Ziel ist die Inklusion (Alltag als Therapie). Bei Rückzug und ‚Ausstieg aus der Realität‘ die ‚Wiedereinführung in die Kommunikation‘. Im Bereich der Kooperation, das Verhandeln über Krankheitskonzepte und Behandlung, sowie in Familienbeziehungen, Psychoedukation und Gespräche ohne Konfliktvermeidung (offener Dialog). Chronifizierung ist durch Rückfallprophylaxe zu vermeiden (jede Krise neu betrachten). Ein günstiges Familienmilieu hat eine hohe, fast vollständige protektive Wirkung (auch bei hohem genetischem Risiko). Studien zeigen, dass die Kombination von systemischer Therapie mit anti-psychotischer Medikation wirksamer ist als Medikation alleine, insbesondere bei der Reduktion von Abbrüchen, Rückfällen, Symptomreduktion, Compliance und Lebensqualität. Weitere Therapieoptionen sind: Kognitive Verhaltenstherapie, Pharmakotherapie, Kunsttherapie (vor allem bei Negativ-Symptomatiken).

F3 Affektive Störungen / F32 depressive Episoden

Allgemeine Ziele sind: positive Erfahrungen zu vermehren (Verhaltensaktivierung und Sport); im Gespräch zu ermutigen, Probleme zu lösen (sokratischer Dialog, lösungsorientierte syst. Therapie, Psychoedukation). In akuten Krisen über suizidale Gedanken zu sprechen (bei F32 immer eine Suizidanamnese durchführen). Aufmerksamkeitslenkung (hypnosystemisch) zur Ressourcenaktivierung (negatives Denken und Fühlen reduzieren). Neues Verhalten zur Erhöhung der Selbstwirksamkeit einführen, sowie die Interventionen Externalisierung, Reframing und inneres Team. Bei interaktionellen Problemen IPT zur Verbesserung der Interaktionen. Biografieorientierte syst. Therapie um Sinn und Bedeutung von depressiven Krisen im Biografieverlauf zu verstehen. Weitere Therapieoptionen sind: Kognitive Verhaltenstherapie, Pharmakotherapie, Gesprächspsychotherapie. Die Beziehungsgestaltung sollte auf einem mittleren bis leicht erhöhten Aktivitätsbereich erfolgen. Zu aktiv oder zu träge ist ebenso wenig förderlich wie zu wenig oder zu viel Empathie. Bei einer affektiven Störung sind viele andere Menschen betroffen, insbesondere Familienangehörige. Bei depressiven Störungen müssen sie zeitweise die Energie aufbringen, die dem Betroffenen fehlt.

F4 Neurotische, Belastungs- und somatoforme Störungen

Angststörungen: Laut S3 Richtlinie (Bandelow) sollten bei spezifischen Phobien expositionsorientierte Kognitive Verhaltenstherapie angeboten werden. Bei anderen Phobien und anderen Angststörungen ist Psychotherapie und /oder Pharmakotherapie zu empfehlen. In der systemischen Therapie sind folgende evidenzbasierten Ansätze gut beschrieben: Ressourcen- und lösungsorientierte Kurzzeittherapie; Symptomverschreibungen;

Zwangsstörungen: Intrapsychisch führt die Zwangsstörung dazu, dass sich der Klient mit seinen Zwangsgedanken und -handlungen beschäftigt, statt sich den anstehenden Herausforderungen zu stellen (Aufrechterhaltung des Ist-Zustandes), während er interpersonell seine Bezugspersonen in seine Zwangsstörung einbindet und unterordnet. In der Therapie soll der Klient die Prinzipien verstehen und den Fokus auf die eigentlichen Problembereiche lenken. Ein Expositionstraining mit Reaktionsverhindung reicht in der Regel allein nicht aus. Neben einer Psychoedukation sollten die Fragen nach einer symptomfreien Zukunft erfolgen und relevante Systemmitglieder mit eingebunden werden (Anteil der Mitglieder an der Aufrechterhaltung der Symptomatik). Weitere Therapieoptionen sind Kognitive Verhaltenstherapie, Pharmakotherapie (SSRI), ACT.

Belastungs- und Anpassungsstörungen: Normale Trauerreaktionen sollten nicht pathologisiert werden. Trauer hilft, belastende Ereignisse zu integrieren. Sicherheit ist eine der wichtigsten Rahmenbedingungen nach einer traumatischen Erfahrung. Zur Behandlung von Anpassungsstörungen gibt es kaum evidenzbasierte Vorgehensweisen, da die Auslöser alltäglich und individuell sind (zusätzlich sind Anpassungsstörungen Ausschlussdiagnosen). Weil sich Therapeuten / Berater oft überlastet mit Traumata fühlen, wird der Ruf nach psychotraumatologisch geschulten Fachleuten laut. Dabei ist es vielmehr wichtig, dass die Helfer Ruhe bewahren und Sicherheit ausstrahlen. Psychoedukation ist in der Regel hilfreich. Symptome wie Flashbacks, Alpträume, erhöhte Vigilanz oder dissoziative Symptome sind normale Reaktionen auf außergewöhnliche Ereignisse. Zuviel Aktivismus in einer akuten Phase ist nicht hilfreich. Guidelines (NICE) empfehlen ‚Watchful Waiting‘ über mind. 4 Wochen (auch 3-6 Monate). Weitere Therapieoption ist die Pharmakotherapie (symptomorientiert). Entspannungsverfahren haben sich bisher als nicht wirksam erwiesen, können aber als Zusatzbehandlung Anwendung finden.

Psychosomatik: Psychosomatische Störungen können im Zusammenspiel der drei Systeme Kommunikation (Bindungsgeschichte und Bindungsstil, Familienstil, aktuelle Bindungssituation, soziale Stressoren), Psyche (Selbstregulation, Einführung der Erlebnisebene) und Soma (der Körper kann im inneren Parlament oder symbolisch zur Sprache kommen) verstanden werden. Weitere (nicht Reden) Therapieoptionen sind körperbezogene, achtsamkeitsbasierte Verfahren (Selbstregulationsfähigkeit des Körpers) wie Meditation, Yoga, Qi Gong, PMR und Fokussing (Gendlin).

F6 Persönlichkeits- und Verhaltensstörungen / F60.3 Emotional instabile Persönlichkeitsstörung insbesondere F60.31 Borderline-Typ

Systemische Therapeuten nehmen oft eine kritische Haltung bezüglich der Diagnose von Persönlichkeitsstörungen (PS) ein. Die Trennschärfer der PS Diagnostik ist schwach und es bestehen viele Komorbiditäten. In dem Buch ‚Systemische Therapie in der Praxis‘ wird die Borderline PS nur zusammen mit ‚komplexen Traumafolgestörungen‘ betrachtet. Es wird empfohlen Dissoziative Symptome, die häufig vorhanden aber nicht spontan berichtet werden, zu explorieren. Als Therapieziele werden beschrieben: Überleben, vermeiden von Therapiegefährdungen, Stabilisierung der Lebensgrundlagen, Verringerung der Impulsivität / Erhöhung der Selbststeuerung, Klärung von Beziehungen, verstehen und verständlich machen (Entwicklung eines kohärenten Narrativ), Eröffnung konstruktiver Lebensperspektiven. Als empirisch belegte manualisierte Verfahren werden benannt: DBT (Dialektisch-Behaviorale Therapie), Übertragungsfokussierte Psychotherapie, MBT (Mentalisierungsbasierte Therapie), Schematherapie.