Der Mensch ist eine physiologische Frühgeburt. Eigentlich bräuchte er ca. 18 Monate um zu reifen, dann wäre er aber zu groß um durch den Geburtskanal zu passen.

Die Schwangerschaft unserer weit zurückliegenden Vorfahren betrug ca. 21 Monate. Nach der Geburt erlebt der Mensch eine Phase der vollständigen Abhängigkeit. Urvertrauen und, das Gegenteil, Urmisstrauen werden geprägt. Bindungsverhalten ist angeboren. Bereits 42 Minuten nach der Geburt können Kinder das Gegenüber imitieren. Durch das Nachahmen der Mimik entsteht im Kind die gleiche Reaktion des Nervensystems, die das Vorbild hat. Kinder können mit ca. 6 Monaten die nahen Bezugspersonen von Fremden unterscheiden und entwickeln dann ein emotionales Erleben dieser Abhängigkeit. Ängste kommen auf, wenn die Bezugspersonen sich entfernen oder Fremde auftauchen. Die emotionale Präsenz und die Zugewandtheit der Bezugspersonen ist jetzt besonders wichtig. Sicherheit muss von und durch sie garantiert werden. In dieser Phase hat das Erleben von Abhängigkeit, Bindung, frühen Ängsten, Urvertrauen und Sicherheit nachhaltige Auswirkungen auf den späteren Erwachsenen. Das Gehirn erfährt einen Wachstumsschub von 400g bei der Geburt auf über 1000g im Alter von 12 Monaten. Beziehungs- und Erfahrungsprozesse prägen die strukturelle Ausformung der Nervenzellen (‚Der Körper vergisst nicht‘). In der frühen Kindheit wird Bindung kommuniziert: durch Mimik, Haltung, Geschwindigkeit in der Bewegung und Handlung. Ton und Volumen der Stimme, Muster und Geschwindigkeit der verbalen Kommunikation, sowie der Blickkontakt sind wesentliche Elemente die Botschaften transportieren. Die immer wiederkehrende Aufgabe der Beziehungsperson ist es, dem Kind zu ermöglichen aufsteigende Spannungen zu ertragen, aber rechtzeitig einzuschreiten um zu beruhigen, bevor es von Affekten überflutet wird. Fühlt sich das Kind müde, krank, unsicher oder allein, reagiert es mit Bindungsmustern indem es schreit, lächelt, anklammert, nachfolgt etc., was den Erwachsenen anspricht, so dass dieser mit Nähe reagiert, die wiederum die Spannung im Kind abbaut. Das Kind entwickelt ein erstes Bild von sich selbst indem es das Bilder einer nahen Bezugsperson in sich aufbaut (Identifikation). Dieser Prozess ist nicht vor Ende des dritten oder vierten Jahres abgeschlossen. Aus dem Zusammenwirken solcher Identifikationen, von Reifeprozessen und genetischer Vorgaben, bildet sich im Laufe der Zeit die innere Instanz, die wir Selbstbild nennen. Es ist das was wir als unsere Identität erleben und was uns von unserer Umwelt unterscheidbar macht. Das erste ‚Nein‘ tritt mit ca. 15 Monaten auf. Das Kind erfährt, dass es Leistungen vollbringen kann, die die Umwelt anerkennt. Der Prozess der Abgrenzung von der Umwelt setzt ein. Kinder lernen im Laufe des dritten Jahres sich nicht mehr mit dem Vornamen, sondern mit ‚ich‘ zu bezeichnen. Kinder erfahren eine Auseinandersetzung mit ihren aggressiven Bedürfnissen (z.B. das Beißen) und erhalten eine Vorstellung von Aggression, die prägend für den späteren Umgang damit ist. Mit der Entwicklung der Motorik wird das Erleben der Autonomie dominant. Trotz ist ein natürlicher Autonomieversuch, der von den Eltern bedrohlich erlebt werden kann. Das gerade erworbene Vertrauen in die Umwelt wird auf eine Probe gestellt. Autonomie steht gegen Scham und Zweifel. Die vorher symbiotische (Mutter-Kind Zwei-Einheit) Beziehung erfährt eine allmähliche Loslösung (Separation). Zu der Suche nach einem neuen inneren strukturellen Gleichgewicht gehört ein Abwechseln zwischen Befriedigungs- und Versagungserlebnissen, eine ‚optimale Frustration‘‚die die wachsende Autonomie des Ich unterstützt. Das Kind kann in dieser Zeit der Zerrissenheit zuweilen fast depressiv wirken. Im Vorschulalter wird der sog. triadische Konflikt Mutter, Vater, Kind erlebt. Ein Loyalitätskonflikt, der dadurch entsteht, dass das Kind beide Eltern liebt und von beiden Eltern geliebt werden will. Die Gehirnfunktonen der Jungen und Mädchen entwickeln sich in unterschiedlicher Reihenfolge und Geschwindigkeit. Auch der Einfluss einer Geschwisterbeziehung ist allein schon von ihrer Dauer prägend. Das Beziehungsgefüge zu Geschwistern und deren Rivalität ist immer eingebettet in die Beziehung zu den Eltern. Die Durchgangsphase von ’nicht Kind, nicht Erwachsener‘ (Adoleszenz) ist ein wichtiger Schritt für den Umgang mit dem eigenen Körper und der sozialen Umwelt. Das Erwachsenenalter ist hingegen durch das Erleben von Partnerschaft, sozialen Beziehungen und die Bewältigung von Leistungserwartungen geprägt.

(Zusammengestellt u.a. aus ‚Eva Rass, Bindung und Sicherheit im Lebenslauf‘, Hoffmann/Hochapfel, ‚Neurotische Störungen und Psychosomatische Medizin‘)