Focusing (lateinisch focus “Mittelpunkt, Brennpunkt”) wurde von dem amerikanischen Psychotherapeuten und Philosophen Eugene T. Gendlin im Rahmen der Klientenzentrierten Psychotherapie (Carl Rogers) seit den 1960er Jahren entwickelt. Es ist eine Technik der Selbsthilfe bei der Lösung persönlicher Probleme.

Das Verständnis des Focussing passt ausgezeichnet zu dem des Coachings: Die eigentliche Arbeit leistet nicht der Therapeut, sondern der Klient. Nach Gendlin besitzt der Klient bei der Lösung seiner persönlichen Probleme die alleinige Autorität, die alleinige Kompetenz und das alleinige Wissen. Aus dem Klienten wird der Focuser, der den Prozess autonom beginnt, steuert und beendet. Der Therapeut wird zum Begleiter. Ein Abhängigkeitsverhältnis entsteht nicht. Eine Übertragung findet nicht statt. Focussing sieht den Menschen als Prozess, nicht als Krankheitsfall.

Philosophie: Nur das Klare zählt in unserer Gesellschaft. Alles was nicht passt, muss man sofort wegstecken. Doch das Unklare, noch nicht Sagbare, aber schon Gespürte, hat seinen eigenen Wert. Menschen haben sich immer mehr in Sprachschablonen ausgedrückt. Das emotionale Erleben wurde typisiert und etikettiert. Sie dürfen sich die Erlaubnis geben, nicht alles erklären und beweisen zu müssen, was sie fühlen. Die Umwelt will nicht wissen, was uns behindert oder frustriert. Wir haben uns einfach richtig zu verhalten. Die innere Komplexität, die uns behindern, aber auch besser, interessanter und kreativer machen kann, ist nicht gefragt. Wir sollten aber lernen, in unser Inneres zu sehen. Die Wahrheit liegt nicht im Denken allein. Durch Spüren des Unklaren, kann man alle möglichen Konzepte ausprobieren, ohne an ein bestimmtes Denkmuster gebunden zu sein.

Jedes Erleben mit bedrohlichem Hintergrund ruft körperliche Reaktionen hervor. Während die auslösenden Ereignisse oft vergessen oder verdrängt werden, bleiben die Körpersignale erhalten, so dass man auf sie fokussieren kann. Die körperlichen Empfindungen sind der Pfad, auf dem man der Lösung des Problems näherkommt. Focussing eignet sich zur Aufhebung von Blockaden und kann ermöglichen, festzustellen, wo das eigene Leben festgefahren, verkrampft und eingeengt ist. Es weckt eine neue Art der inneren Aufmerksamkeit auf das, was man zunächst nur unklar gefühlt hat. Immer ist die innere Haltung eine fragende, nicht eine wissende. Ihre Gefühle liegen nicht ‚in‘ Ihnen z.B. wie giftige Schlangen in einem Käfig. Sie sind ein Prozess und Ihre Gefühle sind ein Teil dieses Prozesses.

Die sechs Prozessschritte in Kurzform (die Schritte dienen der Orientierung, man kann sie später z.T. auch überspringen oder in umgekehrter Reihenfolge durchlaufen, wenn es z.B. leichter fällt mit Worten zu beginnen und dann zum ganzen Thema zurück zu gehen):

  1. Vorbereitung

Kleine, äußere Irritationen beseitigen. Nicht ganz vertraute Orte können helfen. Eine positive Ausgangslage schaffen. Man kann in kurzen Wartezeiten Focussing betreiben. Es dauert 10, evtl. 15 Minuten, vielleicht sogar 30 Minuten, aber nicht länger. Focussing in Gegenwart einer anderen Person ist leichter, selbst wenn beide nicht sprechen. Es ist nicht immer möglich ein Problem in einer Sitzung zu lösen, es kann auch mehrere Monate in Anspruch nehmen.

  1. Freiraum schaffen

Wie fühle ich mich? Was hindert mich daran, mich gut zu fühlen? (nicht antworten, sondern dem Körper die Zeit geben, selbst zu antworten; dazu braucht es ungefähr 30 Sekunden; nicht eindringen; alles willkommen heißen, was kommt). Innerlich einen Schritt zurücktreten und aus einer Distanz betrachten.

  1. Einen ‚Felt Sense‘ kommen lassen

Ein Problem / Anliegen herausgreifen (oft sind es mehrere; wenn nichts kommt, irgendetwas auswählen) und im Körper spüren, wenn all das, was damit zusammenhängt, in Erinnerung gerufen wird. Das Problem als Ganzes fühlen. Auf das umfassende Gefühl achten (so wie die Ausstrahlung einer Person und nicht bestimmte Teilaspekte davon). Der ‚Felt Sense‘ ist das umfassende, unklare Gefühl, das das ganze Problem auslöst. Der ‚Felt Sense‘ ist dort, wo wir ohne Worte etwas wissen und empfinden.

  1. Den ‚Felt Sense‘ beschreiben: einen ‚Griff‘ finden

Der ‚Felt Sense‘ ist eine Art körperlichen Bewusstseins (ein physisches Erfahren, keine geistige; ein Körpergefühl mit einer Bedeutung dahinter) , das so wenig beachtet wurde, das es dafür keinen Namen gab. Gendlin hat dafür den Begriff ‚Felt Sense‘ erfunden. Der ‚Felt Sense‘ ist keine reine Emotion. Wichtig ist eine Beobachterhaltung (‚Ich bin nicht der Felt Sense‘, konkrete Disidentifikation).

Was ist die Eigenschaft des ‚Felt Sense‘? Welsche Wort, Sätze, Bilder kommen hervor? Welches Eigenschaftswort passt? Nicht das Problem analysieren. Nach dem Kern suchen (evtl. ein sanfter Versuch mit nur einem Wort). Treten eine leichte Entspannung und Lockerung beim Aussprechen der Worte / Vorstellen der Bilder ein, ist dies das Signal für den ‚Griff‘.

  1. Vergleichen

Im Wechsel zwischen dem ‚Felt Sense‘ und dem Wort/Bild hin-und hergehen. Passen beide zusammen? Immer wieder zum ‚Felt Sense‘ zurückkehren. Er muss gefühlt werden. Wenn der ‚Felt Sense‘ sich ändert, diesem mit der Aufmerksamkeit nachspüren. Spüren wie er jetzt ist. Wenn ‚Felt Sense‘ und Wort/Bild zusammenpassen, dieses Gefühl mehrfach aufkommen lassen. Es tritt eine erneute spürbare Entspannung ein (‚Body Shift‘). Bei der richtigen Übereinstimmung für eine Minute auskosten.

  1. Fragen

Den ‚Griff‘ nutzen, um den ‚Felt Sense‚ wieder und wieder lebendig werden zu lassen. In das Problem / Anliegen fragen: Was ist es an diesem ganzen Problem, das mich so .. macht? Was ist das Schlimme an diesem Gefühl?

In die Lösung fragen: Was braucht es, damit es besser wird? Was sollte geschehen? Was wäre es für ein Gefühl, wenn alles in Ordnung wäre? Was steht im Wege?

Offene Fragen stellen, darauf verzichten diese im Denkprozess zu beantworten, abwarten.

  1. Annehmen und schützen

Alles willkommen heißen was kommt. Dankbar für eine Antwort des Körpers sein. Die Antwort vor kritischen (inneren) Stimmen beschützen und diese unterbrechen. Später ggf. zu dem Gefühl zurückkehren. Es ist nicht das letzte Wort. Es können andere Antworten folgen. Die müssen die Antwort nur annehmen.

Focussing ist keine Arbeit. Es ist eine angenehme Zeit, die sie in ihrem Körper verbringen. Trotzdem sollte es nicht eine einfache Methode sein, sich besser zu fühlen und dadurch nicht die Aktionen in Angriff zu nehmen, die das Problem / Anliegen lösen. Hierzu sind andere unterstützende Methoden hilfreich. Focussing wird neben Hakomi und der Systemischen Therapie mit der Inneren Familie, als drittes achtsamkeitszentriertes Verfahren bezeichnet (obwohl Gendlin selbst das Wort Achtsamkeit nicht verwendet hat).

Zusammenstellung aus dem Buch ‚Focussing‘ (Eugene T. Gendlin); https://de.wikipedia.org/wiki/Focusing; ‚Wirkfaktoren der Achtsamkeit‘ (Harrer, Weiss); ‚Focussing alone‘ https://www.youtube.com/watch?v=kHMmH11GLXE