Ein Trauma ist ein Ereignis, das den Menschen unvorbereitet und meist plötzlich überfällt, ohne dass der Betroffene etwas dagegen tun kann. Er wird von der Situation überfordert und fühlt sich ausgeliefert. Sein Leben ist (objektiv oder nach seiner subjektiven Einschätzung) in Gefahr. Außer traumatischen Einzelereignissen (z.B. Gewaltverbrechen, Unfälle, plötzliche Todesfälle), kann es auch mehrfache (z.B. Zivilbevölkerung im Krieg) und serielle Traumaerfahrungen (z.B. Abwertung in der Familie, aber auch Mobbing) geben oder kollektive Traumatisierungen wie bei Katastrophen. Ursachen können Naturkatastrophen, durch Menschen direkt oder indirekt verursachte Katastrophen/ Gewalttaten; sexuelle Gewalt und ihre Vermarktung oder Katastrophen innerhalb der Familien (z.B. Trennung, Sucht, schwere Erkrankungen etc.).

‚Traumatisierte Patienten berichten oft, sie hätten ein eingefrorenes Zeitgefühl oder ihre innere Uhr sei mit dem Datum der Traumatisierung stehen geblieben‘ (Bohleber, 2012). Die emotionale Wucht und Not kann nicht durch (erwachsene) Anteile aufgefangen und kompensiert werden. In dieser Not übernehmen andere (kindliche) Anteile die Aufgabe, die verletzten inneren Anteile zu schützen und andererseits zu bändigen, um der Gesamtperson zu ermöglichen, weiterzuleben und nach außen zu funktionieren. Es kommt zu einer Abspaltung (Dissoziation) um als Ganzes weiter leben zu können.

Die Teile in uns, die uns vor Schmerz schützen wollen, sind unsere Wächter. Das Modell des Innere Kindes (Innere Kinder) gehört zu einer modellhaften Betrachtungsweise innerer Erlebniswelten und bietet so eine verständliche, nachvollziehbare und handhabbare Beschreibung innerer Prozesse. Auch unsere Wächter, die verletzten inneren Anteile schützen, sind innere Kinder. Zwei der Wächter sind der Innere Kritiker und der Rebell sein, die im nachfolgenden charakterisiert werden.

Der Teil, in den wir durch die Spaltung als erstes rutschen, ist das Kind, das sich an die Erwartungen unserer Bezugspersonen anpasst und sie zu erfüllen versucht. Es stellt uns etwas Statisches hin, eine Idealvorstellung, und sagt: So musst du sein, sonst bist du nichts wert! Der Druck, den dieser Teil aufbaut, ist existentiell. Es interessiert ihn ausschließlich, dass wir das Richtige hervorbringen und leisten, egal wie. Härte, Disziplin, hart gegen sich selbst zu sein, kämpfen, Erfolg erringen, das ist seine Devise. Dieser Teil ist zwar Kind, spricht aber in der Stimme eines autoritären Erwachsenen mit uns. Wir sind aus seiner Sicht ein Objekt, das man verändern kann und muss, und zwar mit Druck.

Auf diesen Druck ‚Ändere dich oder stirb!‘ reagiert der innere Rebell mit Wut, Empörung und Trotz. Folgen wir ihm, sind wir für einen Moment vom Druck des Inneren Kritikers befreit. Dann veranstalten wir Exzesse, tun Verbotenes, und wollten nur eines, nämlich dem Inneren Kritiker Hohn spotten. Die Reaktion darauf sind Schuldgefühle, was nichts anderes ist, als die Rückkehr des Inneren Kritikers.

Wenn wir mit unseren Wächtern identifiziert sind, zensieren wir, was wir von uns preisgeben; überlegen wir, was wir sagen, um nicht verletzt zu werden, aber auch nicht von anderen für blöd gehalten zu werden. Unsere Aufmerksamkeit ist ganz nach Außen gerichtet. Wir sind voller Angst, aber merken nicht, dass sie in uns ist. Wir spüren unseren Körper kaum, haben keinen Kontakt zu unserem Bauch, atmen flach im Brustkorb; sind mit unserer Energie oberhalb des Zwerchfells, die Schultern angespannt oder verspannt, ganz im Kopf. Definitiv glauben wir, was wir denken. Wir haben keinen Abstand zu unseren Gedanken. Wir haben keine Präsenz. Wir sind eng, unser Bick eingeschränkt ohne Kontakt zu unseren wirklichen Gefühlen. Wir konstruieren stattdessen unsere Gefühle, oben, im Kopf, meist vermischt mit Deutungen und Schuldzuweisungen. Wir können dabei vermeintlich Schuldige dehumanisieren. Deswegen ist jedes Mittel recht, sich gegen ihn zu wehren. Wir sind in einem Kampf ums Überleben und für alles andere blind. Was wir anderen in dem Glauben vorwerfen, völlig im Recht zu sein, trifft, noch während wir es aussprechen, auf uns selbst zu. Wir haben in unserer Kindheit gelernt so zu reagieren. Es ist eine konditionierte Reaktion. Diese automatische Abwehrreaktion springt an, wenn wir verletzt werden oder verletzt werden könnten. Als wir Kind waren, stimmte das auch. Das wir heute zum Kind werden, das ist die Regression. In dieser Regression reagieren wir also nicht auf die Gegenwart, sondern auf die Vergangenheit, wir reagieren nicht auf das wirkliche Gegenüber, sondern auf eine Person in unserer Vergangenheit. Unsere Wächter wollen um jeden Preis vermeiden, dass wir in den Kontakt mit unseren Schmerzen gehen. Dabei können sie sogar konstruieren, wie es wäre, wenn wir in diesen Kontakt gehen würden. Im Wächter wird über den Kontakt mit den Gefühlen geredet und scheinbar tiefsinnig erörtert, dabei wird aber nur so getan, als habe man diesen Kontakt. Der Kontakt ist konstruiert und wird vom Wächter simuliert. Im Körper allerdings passiert nichts. Das mag sich verkopft anhören, und genau das ist es auch. Sind wir identifiziert mit dem inneren Kritiker, verlieren wir den Kontakt zum Lebendigen.

Zusammengestellt aus

‚Wenn die Seele verletzt ist‚, Christiane Sautter
‚Traumaheilung durch Radikale Erlaubnis‘, Mike Hellwig
‚Das Innere Kind in der Psychotherapie‘, Dagmar Kumbier