Zusammenfassung des Kapitels ‚Systemisch leiten‘ aus dem Buch ‚einfach systemisch!‘ von Christina Renoldner, Eva Scala, Reinhold Rabenstein.

Sie können nicht einseitig bestimmen, wie erfolgreich geleitet wird. Leiten sehen wir als ein Zusammenspiel aller Beteiligten, eine Ko-Kreation, eine gemeinsame soziale Erfindung. Es handelt sich um einen Kommunikationsprozess von gemeinsamen subjektiven Deutungen darüber, welches Verhalten in welchen Situationen zulässig ist, d.h. welche Regeln in welchem Kontext gelten.

Menschen neigen dazu, Ereignissen, für die sie ein Wort gefunden haben, wie ein Ding zu sehen: “die Leitung”, “der Konflikt”, die Gruppe”. Diese Verdinglichung vereinfacht zwar den Informationsaustausch, weil jeder zu verstehen glaubt, aber sie täuscht auch. Eine Gruppe IST nicht, eine Gruppe geschieht. Sie wird durch vielerlei Interaktionen erschaffen und aufrechterhalten.

Eine Gruppe bekommt ihr Gesicht, ihre Eigenart durch die Beschreibungen, Erklärungen und Bewertungen der Gruppenmitglieder und der Außenstehenden. Eine Gruppe ist eine Selbst-Erfindung ihrer Mitglieder. Es geht nicht darum, wie die Gruppe tatsächlich ist, sondern wie die verschiedenen Zuschreibungen wirken. Man kann sie förderlich oder hinderlich erleben.

Bedürfnisse zeigen sich in Wünschen, Ansprüchen, Forderungen und Werten. Diese Bedürfnisse werden unterschiedlich und widersprüchlich erlebt – das löst die Dynamik in der Gruppe aus. Soziale Systeme erzeugen Komplexität ganz von sich aus. Komplexität entsteht aus der Vielfalt und der Unberechenbarkeit. Unsicherheit ist demnach normal in sozialen Systemen. Die Gruppe braucht einen Leiter, auf die sie ihre positiven Erwartungen bündeln und projizieren kann. Das gibt der Gruppe vor allem in Anfangssituationen Sicherheit. Komplexität wird verringert durch Entscheidungen und Anweisungen. Entscheidungen sind bedeutsame Interventionen der Leitung. Wirksame Entscheidungen sind sowohl fachlich nützlich als auch sozial anerkannt.

Den sozialen Aushandlungsprozess gestaltet der Leiter in einer Balance von Pacing (Mitgehen: mitfühlen, nachfragen, einfühlen, bestätigen, anerkennen) und Leading (Führen: Vorschläge machen, unterbrechen, erklären, bewerten, entscheiden, vermitteln, Initiativen und Ziele setzen). Es ist Aufgabe des Leiters, Feedback einzuführen, wobei Feedback ein heikles Instrument ist, da jedermann Scheu vor Beurteilung hat.

Konflikte sind normal, sie entwickeln sich in allen sozialen Systemen. Konflikte sind immer ein Zusammenspiel, eine Ko-Kreation der beteiligten Personen. Die Kunst des Konfliktmanagement ist: die Unterschiede und Übereinstimmungen in Kommunikation zu bringen – einen Dialog anzuregen; Polaritäten zu schätzen und Hilfen für einen Neubewertung zu geben; allen Teilen gleichermaßen Gehör zu verschaffen (Allparteilichkeit zu zeigen); gegenseitige Abwertungen zu unterbrechen und in Beschreibungen umzuwandeln; Gefühle und Wahrnehmungen der Gegner zu kennen; Vorwürfe in Wünsche und Bedürfnisse umzuwandeln; weg von der Position des Verteidigen hin zu einer Position des Bedürfnisse-Verhandelns zu kommen; Würdigung der guten Absicht; eine achtsame, wertschätzende Beschreibung; die Polarität des Einen und des Anderen, des Guten und des Schlechten aufzuweichen; sicherstellen, dass alle Betroffenen sich gehört und verstanden fühlen, ihre Positionen aufweichen, ihre Bedürfnisse erkennen und mitteilen und verhandeln können. Ist die Leitung selbst betroffen, wäre es nötig, eine außenstehende Person als Konfliktmoderater einzuladen.

Die Leitungsfunktionen umfasst mehrere Rollen gleichzeitig:
Leadership – Vorangehen, einen Weg weisen
Managen – den Alltag gestalten
Coachen – zur eigenen Lösung begleiten
(eigene Anmerkung: .. und ggf. die Rolle des Experten)

Eine Gruppe zu leiten ist ein komplexes Geschehen. Es bedeutet: die Zugehörigkeit und einen guten Platz jedes Einzelnen zu beachten; die Schaffung der Gruppe durch die Interaktionen ihrer Mitglieder; Kommunikation anzuregen und zu moderieren; die Dynamik der Gruppe zu balancieren; als Leiter Teil der Gruppe zu sein und gleichzeitig eine besondere Rolle einzunehmen; die Beziehung zu Einzelnen und der ganzen Gruppe zu gestalten und den Wandel der Gruppe in verschiedenen Beziehungsphasen zu verstehen.

Es ist nützlich die Gruppenphasen als Selbstorganisationsprozess zu sehen. Aufgabe der Leitung in den verschiedenen Phasen sind:

  1. Anfangssituation: einen sicheren Rahmen zu schaffen, Kontakte und Begegnungen zu fördern, Verhaltensregeln und Normen vor zu schlagen, Abweichungen zu benennen ohne zu bestrafen oder bloß zu stellen.
  2. Kooperationsphase: attraktive Aufgaben zu finden und auf die Beteiligungsmöglichkeiten aller zu achten, das verhandeln von Aufgaben, Werten und Bedürfnissen zu unterstützen, Spielräume zu erweitern und zu delegieren.
  3. Konfrontation: direkte Kommunikation zu fördern, Parteien in Dialog zu bringen, Gegensätze als unterschiedliche Bedürfnisse zu benennen, alle Beiträge anzuerkennen, versöhnlich, wertschätzende und mitfühlenden Allparteilichkeit; Kränkungen zu unterbrechen und Grenzen zu setzen.
  4. Integration: Raum zur Selbstorganisation gebe; sich unsichtbar machen und zugleich präsent sein ohne sich einzumischen; neue Ziele und Spielregeln vereinbaren.
  5. Trennung / Abschied: einen Trennungsprozess zu gestalten statt einfach geschehen zu lassen; Fragen, die im Trennungsstress entstehen Raum geben und die Kommunikation nicht abbrechen zu lassen; Benennen, Würdigen und Verabschieden von dem .. was glückte, schön und erfolgreich war, von dem was schmerzte und verletzte und von dem was unvollendet blieb.

Das Wort “Außenseiter” ist eine Beschreibung und Bewertung einer Interaktion zwischen einer Person und der Gruppe – keine Realität über eine Person allein. Jemand kann nicht für sich Außenseiter sein. Unauffällige muss man erst einmal bemerkten und dann behutsam, aber konsequent in die Gruppe holen. “Störer” / “Abweichler” erfüllen eine Funktion im Gesamtsystem. An ihnen können wir wahrnehmen, was der Gruppe besonders wichtig ist, was als Tabu gilt, wo die Gruppe sich bedroht fühlt. In diesem Fall ist es hilfreich herauszufinden, welche Funktion die Außenseiter übernehmen. Oft kann man ein Wechselspiel zwischen Stabilität und Beseitigung beobachten. Einmal überwiegt der Zusammenhalt, dann wieder die Seite des Ausschließens. Einzelne in der Gruppe verhalten sich auf einer Weise, die die Situation eher verschärft. Vor allem Mitglieder, die eher um Anerkennung kämpfen müssen, scheinen daran interessiert zu sein, andere in der Rolle des Außenseiters zu bestärken. Wir können auch einen Lustgewinn annehmen. Auch die institutionalisierte Leitungsfunktion ist eine Außenseiterposition.