‚Du musst‘
Was jetzt? Jetzt haben Sie gar keine Wahl mehr – Sie müssen. Und Sie müssen etwas, was Sie bisher nur unzureichend geschafft haben.
Wenn ich mir selber einen solchen Rat gebe, dann fühle ich mich immer sogleich unter Druck – zum einen weiß ich, was ich tun müsste, zum anderen weiß ich, dass ich es bisher nicht geschafft habe, und zum dritten erlebe ich dann immer und immer wieder, dass ich genau merke, dass ich meinem eigenen guten Rat nicht folge. Anders gesagt – sobald ich mich mit ‚Ich muss‘ auffordere, fällt mir auf, wann ich genau dies ‚wieder nicht‘ geschafft habe (Problemtrance). Und ein Nebeneffekt, der bei mir auftritt: Ich mache mir Vorwürfe, gebe mir die Schuld, halte mich für unfähig. Mit anderen Worten: Ich mache mich selbst klein. Und wenn ich schon klein bin, weil es mir nicht so gut geht, dann mache ich mich auf genau diese Art noch kleiner, noch hilfloser, noch unfertiger, und es geht mit einfach noch schlechter.
Und meist schaffen solche Muss-Vorschriften noch etwas – sie schaffen es oft, dass Sie mit sich selbst viel härter umspringen, sich selbst gegenüber viel unnachsichtiger werden, weil Sie doch eigentlich das andere machen müssten. Diese Gespräche, die wir mit uns selbst führen, werden dann viel fordernder und immer weniger wertschätzend uns selbst gegenüber.
Was mich an diesen gut gemeinten Ratschlägen tatsächlich an Schläge erinnert, sind genau diese vorwurfsvollen Teufelskreise, die dadurch in Gang gesetzt werden können. Sage ich ‚Ich muss‘, dann habe ich keine Wahl.
Deshalb rate ich in solchen Situationen davon ab, ‚zu müssen‘, sondern ermuntere ‚zu können‘. Warum ‚müssen‘, wenn ‚können‘ auch reichen könnte? Und vor allem – ‚Will ich?‘. Ich kann, ich kann sogar müssen, aber ich muss nicht müssen.
(Jürgen Hargens, aus ‚Bitte nicht helfen! Es ist auch so schon schwer genug‘)
Lesen Sie mehr über unsere Verwendung des Wortes ‚eigentlich‚ ..